In der Regel geht es in Verhandlungen um Macht, Einfluss und das Erzielen von Vorteilen. Im Zuge dessen kann die Versuchung groß sein, die Wahrheit etwas flexibler zu gestalten, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Lügen und Halbwahrheiten finden in diesem Kontext also zugegebenermaßen Anwendung, doch die Grenze zwischen geschickter Verhandlungsführung und ethischem Fehlverhalten ist schmal.
In Ein- und Verkaufsgesprächen erweist es sich durchaus als Option, der Gegenseite unterschwellig verschlüsselte Signale zu senden, beispielsweise indem ein Stift des Wettbewerbers auf dem eigenen Schreibtisch liegt oder in den Dokumenten das Logo eines Konkurrenten hervorblitzt. Wer dann die offensive Nachfrage, ob ein anderes Angebot vorliegt, verneint, lügt nicht direkt, aber sichert sich teilweise doch einen Vorteil gegenüber der Gegenseite. Damit vermittelt man den Eindruck von Wettbewerb, ohne dazu etwas Genaues zu sagen.
Echte Verhandlungsprofis wissen in diesem Kontext jedoch: Der Bluff ist nur etwas für Anfänger, die sonst nicht wissen, was sie tun sollen. Wer sich darauf einlässt und gegenüber der Gegenseite behauptet, er habe ein besseres Angebot, hat häufig keine Alternative. So erweist sich der Bluff in einer klassischen Einkaufsverhandlung meist als unnötig und teilweise sogar gesprächsbehindernd – besonders, wenn beide Seiten von Anfang an wissen, dass es sich in diesem Fall um eine Lüge handelt. Kommunikationstechnisch stellt es sich zudem als schwierig dar, zu lügen und gleichzeitig keine gegenläufigen körpersprachlichen Signale zu senden.
Geschulte Verhandler achten auf Mikroexpressionen, Tonlagen und Körpersprache, die häufig verraten, ob jemand die Wahrheit sagt. Gerade im späteren Verlauf der Verhandlung zeigt sich so schnell, wenn eine Seite die Wahrheit flexibler auslegt, weil das Gespräch ab einem bestimmten Punkt sonst mehrheitlich anders verläuft. So lohnt es sich häufig gar nicht zu lügen, da es nur den eigenen Vorteil schwächt und zeigt, dass unternehmensintern keine Alternative zur Verfügung steht.
Bei langfristigen Beziehungen stellt eine kleine Lüge wie diese zwar kein Ausschluss-Kriterium dar, fördert gleichzeitig aber auch nicht die anhaltende Kollaboration. Letztendlich stellt sich die Gegenseite dann trotzdem immer die Frage, warum der Verhandler das scheinbar bessere Angebot nicht annimmt.
Somit kommen solche kleinen oder großen Unwahrheiten, egal wie gut sie gestaltet sind, schlussendlich immer ans Tageslicht und gefährden in solchen Fällen dann die weitere harmonische Zusammenarbeit. Damit liegt die wahre Kunst nicht im ausgeklügelten Bluff, sondern in der sauberen Vorbereitung und der wirklichen Erarbeitung von Alternativangeboten.