„Wenn Gastronomen ihre Prozesse digitalisieren, ohne zuvor die richtige Zusammenstellung gefunden zu haben, dann ist das, als würde der Pizzabäcker Mehl, Wasser, Hefe und Salz in den Steinofen stellen und hoffen, dass ein Pizzateig herauskommt.“, scherzt Stefanie Milcke.
Tatsächlich hat die Digitalisierung vor allem ein Imageproblem: Die Erwartungen im Voraus sind groß und die Enttäuschung hinterher noch größer, wenn einfach irgendetwas digitalisiert wird. „Ein schlechter Prozess ist digitalisiert eben auch nur ein schlechter digitaler Prozess.“, sagt Milcke und ergänzt: „Digitalisierung ist nicht das Ziel. Sie ist der Weg zu einem Ziel, das VORHER abgesteckt werden muss.“
Schritt 1: Den Kern des Prozesses analysieren
Ein anschauliches Beispiel liefert die Pflicht zur Gästedatenerfassung, welche Gastronomen Corona bedingt zur Rückverfolgung von Ansteckungsverläufen auferlegt wurde. Am schnellsten umsetzbar war die Forderung auf Papier, denn die dafür benötigten Materialien hatte jeder Betrieb parat. Doch schnell kamen Fragen auf, wie: Wie lange müssen die Informationen aufbewahrt werden? Wofür dürfen die Kontaktdaten verwendet werden? Darf der nächste Gast den Namen des Vorgängers sehen? Und so weiter…
Wie sich schon allein durch die Verbreitung der Luca-App zeigt, wurde flächendeckend zu einer digitalen Variante gewechselt. QR-Code scannen und bestätigen, fertig. Im Idealfall in zwei Sekunden erledigt. Welcher Prozess wurde hier eigentlich digitalisiert? Das Eintragen von Namen, Telefonnummer, Datum und Uhrzeit in eine Liste? Mitnichten. Digitalisiert wurde die vorübergehende Aufbewahrung personenbezogener Gäste-Daten durch den Wirt. Das ist der Kern des Prozesses.
Schritt 2: Prozesshelfer definieren
Erst dann kommt die Technik ins Spiel: Womit sollen die Daten erfasst und wie übertragen werden? Die Antwort kennen wir alle: Die einfachste Möglichkeit, Daten nur ein einziges Mal hinterlegen zu müssen und dann bei jedem Restaurant (und Händler) wiederzuverwenden, ist die Registrierung bei einem flächendeckenden Anbieter.
In großen Bürogebäuden werden Besucherdaten bereits seit Jahren digital erfasst – per Gäste-Tablet, das alle Gäste ohne Zwischenreinigung anfassen. In der Prä-Corona-Ära kein Problem, denn das menschliche Immunsystem wird mit ein paar Viren und Bakterien locker fertig. Bis COVID-19 die Karten neu gemischt hat. Diese Variante schied also schon allein vom Hygienestandpunkt aus. Abgesehen davon hätten die meisten Gastronomen extra Endgeräte anschaffen müssen.
Naheliegender war also, ein Endgerät zu nutzen, dass der Gast immer bei sich trägt. Noch vor einem Jahrzehnt wäre das ganz klar der Geldbeutel gewesen. Dann wäre die Lösung vielleicht eine Mitgliedskarte ähnlich der der Krankenkasse geworden, die den Patienten beim Arzt eindeutig identifiziert. Doch spätestens seit es für jede Herausforderung des Alltags eine App gibt, ist das Smartphone zum ständigen Begleiter geworden. Deshalb musste es ein Handy gestützter Prozess werden, der den Gast „einchecken“ lässt. Per NFC? Schwierig, das erfordert einen NFC Kontaktpunkt beim Gastronomen. Der QR-Code ist da pflegeleichter. Ausdrucken und aufkleben, fertig. Sogar separate Codes pro Tisch sind möglich.
Findige Leser werden jetzt sagen: Moment mal! Das sind doch dieselben Erfolgsfaktoren wie beim Selfordering! Das verwendet doch auch QR-Codes. Warum soll jetzt das eine funktionieren und das andere nicht?
Schritt 3: Stolpersteine identifizieren
Selfordering funktioniert in vielen Betrieben nicht, weil entweder der Kern des Prozesses nicht richtig erkannt (in diesem Fall gerne Schritt 1 noch einmal lesen) oder nicht stringent umgesetzt wurde. Der beliebteste Fehler dabei ist laut Milcke die Innensicht des Restaurants, die einem kundenorientierten Prozess Stolpersteine auferlegt, wie etwa eine zusätzliche Freigabe-Stufe durch den Kellner, einen PIN-Code, den der Gast vorab erfragen muss, oder eine exzessive Datenabfrage vor der Bestellung.
Auf Rang zwei gleich dahinter findet man fast genauso oft die schlechte Umsetzung. „Nach meinem letzten Selfordering-Fachartikel kontaktierte mich der Kunde eines Wettbewerbers. Selfordering würde bei ihm nicht funktionieren, dabei nähme sich sein Personal viel Zeit für Erklärungen. Die digitale Speisekarte offenbarte den Grund: Sie wirkte unfertig, war nur teilweise bebildert und enthielt große Leerflächen. Die Nutzung war nicht intuitiv und enthielt zu viele Schritte bis zur Bestellung. Leider kein seltenes Bild“, bemerkt Milcke.
„Digital ist der Geduldsfaden deutlich kürzer. Für das Selfordering im Betrieb gibt es unterschiedliche Ziele, die eine völlig andere Konfiguration der Technik erfordern.“ erklärt die Prozess-Expertin weiter und stellt mehrere Selfordering-Varianten vor, die in der Amadeus-Kundschaft Anwendung finden:
- Nur für Getränke-Nachbestellungen: Die Gäste sind mit den Speisen weitgehend durch und konsumieren den Rest des Abends hauptsächlich Getränke. Warum also bei Nachbestellungen auf den Kellner warten? In diesem Fall sollte das Selfordering hauptsächlich die Getränkekarte und maximal ein paar Snacks beinhalten. Weniger ist mehr, denn jede Ablenkung verschlechtert die „Abschlusswahrscheinlichkeit“. Bezahlt wird ganz normal am Ende beim Kellner.
- Auf großen Feiern wie Hochzeiten: Auf großen Feiern stellt vor allem die ständige Verfügbarkeit der Servicekräfte eine Herausforderung dar. Personal wird gebunden, ob es gerade benötigt wird oder nicht. Durch eventuelles Programm der Gesellschaft erfolgen die Bestellungen oft in Intervallen. Mit Selfordering bestellen die Gäste dagegen jederzeit, ohne das Geschehen zu stören. Spirituosen und andere unerwünschte Artikel werden einfach ausgeblendet. Die Bezahlung erfolgt in der Regel per Rechnung durch den Gastgeber.
- In schwer einsichtigen Bereichen: Gerade große Biergärten oder Nebenräume sind oft schwer einsichtig und können deshalb für unangenehme „Trockenphasen“ sorgen. Die Lösung? Eine Theke, an der der Gast selbst bestellt, dafür aber seine Tisch-Gesellschaft verlassen muss, oder Selfordering – in diesem Fall mit der gesamten Karte. Um Zechpreller zu stoppen, sollte die Bezahlung in schwer einsichtigen Bereichen direkt bei der Bestellung (oder der Abholung an der Theke) erfolgen.
- Für Zimmer-Bestellungen: Selfordering hebt den Room Service auf ein ganz neues Level. Anstatt an der Rezeption oder dem Guest-Service anrufen und einen günstigen Moment erwischen zu müssen, wird auch hier einfach selbst bestellt. Per Kassenschnittstelle werden die Wünsche direkt in die Restaurant-Prozesse integriert und auf die Zimmerrechnung gesetzt oder bei der „Lieferung“ kassiert.
- Standard-Betrieb: Zu guter Letzt die vielleicht mutigste Variante: die Voll-Integration in den normalen Restaurant-Betrieb, entweder ergänzend oder anstelle des Service-Personals. Standard ist in diesem Fall so gar nicht „Standard“ was im allgemeinen Sprachgebrauch ja oft für „einfach“ steht. Wenn Gäste für jeden Teilprozess alternativ auf Kellner oder das eigene Endgerät zurückgreifen können, müssen ALLE Prozesse auf beide Bedienvarianten sowie alle Mischformen ausgelegt sein. Sonst ist das Durcheinander vorprogrammiert.
Schritt 4: Stolpersteine beseitigen
„Die Stolpersteine erkannt zu haben ist bereits ein wesentlicher strategischer Vorteil, denn vielen gastronomischen Betrieben bleibt das verwehrt. Dann gilt es sie zu beseitigen und dafür gibt es im Grunde nur eine Methode: Ausprobieren, testen, anpassen. Ausprobieren, testen, anpassen… Wer dabei Unterstützung braucht, kann sich gerne an uns wenden“, schließt Milcke.