Die Covid-19-Pandemie hat für schwere Verwüstungen gesorgt. Und das nicht nur wirtschaftlich im Sinne von Umsatzrückgängen und notwendigen Umstrukturierungen aufgrund behördlicher Vorgaben. Sondern auch personell. Denn Gastgewerbe und Tourismus droht ein eklatanter Mitarbeitermangel. Die Branche, die vor der Corona-Krise mit rund 2,3 Millionen sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten zu den größten Arbeitgebern in Deutschland gehört, hat im Katastrophenjahr 2020 fast 300.000 Arbeitsplätze verloren.
Laut DEHOGA beträgt der Zugang von Arbeitslosen aus abhängiger Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt im Gastgewerbe zwischen April 2020 und Januar 2021 sage und schreibe 18 Prozent. In der Gesamtwirtschaft sind es 3,9 Prozent. Bis Februar 2021 die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den Betrieben um 129.500 gesunken – damit ist nach DEHOGA-Angaben knapp jeder achte Arbeitsplatz verloren gegangen. Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges warnte bereits Anfang Mai: „Hoteliers berichten bereits von Abwerbungen aus dem Ausland.“
Wer soll die Arbeit machen, wenn es wieder losgeht?
Wie heißt es aus der Praxis beim Jobportal StepStone: Während der langen Wintermonate waren viele Arbeitnehmer in der Gastro- und Hotelbranche gezwungen, sich anderweitig zu orientieren und neue Jobs zu finden. Entsprechend verzweifelt sucht man derzeit nach Fachkräften: „Wir merken auf unseren Seiten seit einigen Wochen eine verhältnismäßig frühe Aktivität bei den Ausschreibungen. Das Wettrennen um die Fachkräfte der Branche hat begonnen“, bestätigt Nikolai Dürhammer, Geschäftsführer von StepStone Österreich.
Daher stellt sich die Frage: Wer soll die Arbeit machen, wenn es wieder losgeht? Denn dass es wieder losgeht, daran besteht kein Zweifel. Auch wenn die vierte Welle Deutschland und andere Ländern eisern gepackt hat, gehen Expert:innen von einem Ende der Pandemie im Frühjahr 2022 aus, zumindest weitgehend. Somit müssen Unternehmer:innen und Geschäftsführer:innen dringend ihre Personalstrukturen festigen und dafür Sorge tragen, dass es nicht zu einer Abwanderungswelle kommt. Und diese ist nicht nur mit mehr Gehalt oder anderen finanziellen Beigaben aufzuhalten.
New Work steht für den strukturellen Wandel der Arbeitswelt
In der gegenwärtigen Debatte zum Arbeitsmarkt der Zukunft hat sich der Begriffe „New Work“ in den Vordergrund gespielt. Ziel ist es, Arbeit und Individuum in Einklang zu bringen. Es geht um die Frage: Was will ich wirklich? Diese Antwort im Arbeitsleben zu finden, ist die Grundidee von New Work. Generell steht New Work für den strukturellen Wandel der Arbeitswelt, der besonders durch die Erfahrungen der Covid-19-Pandemie katalysiert wurde und wird. Bedingt durch die Digitalisierung und die veränderten Anforderungen und Bedürfnisse der Generation Y, entsteht ein vollkommen neues Mindset für Unternehmen und Mitarbeiter:innen, das vor allem Faktoren wie die wie Potenzialentfaltung der Mitarbeiter, Work-Life-Balance, flexible Arbeitsgestaltung (Vertrauensarbeitszeit und -orte) sowie das Einbeziehen der Mitarbeiter:innen in Entscheidungen umfasst.
New Work bedeutet demnach immer auch eine neue Form im Leadership. Streng hierarchische Führungsstile werden ersetzt durch eine Vertrauenskultur und Empathie auf der Basis von Ethik und Werten. Hauptaufgabe der neuen Führungskräfte ist es, die Mitarbeiter:innen zur Eigenverantwortung zu befähigen und deren Stärken zu fördern. Dadurch wiederum werden deren Wachstumsbedürfnisse, die über monetäre Interessen weit hinausgehen, adressiert.
Arbeit wird aus ethischer Sicht verstanden
Damit wird Arbeit aus ethischer Sicht verstanden: Die Selbstverwirklichung nach eigenen Vorstellungen ist das mit Ethik und Wertemanagement verbundene, übergeordnete Ziel. Das wird auch unter dem Begriff des „Purpose“ zusammengefasst. Diese Vorstellungen können durch New Work im Unternehmen ausgelebt und müssen nicht aufgrund der angestrebten kontinuierlichen Gewinnmaximierung unterdrückt werden. New Work wird damit zum Bestandteil von Führungsethik und ermöglicht den Mitarbeiter:innen, den Zweck ihrer Existenz in der Arbeitswelt auszuleben.
Damit wiederum baut New Work als konkreter Ausdruck eines ethischen Führungsverständnisses die Brücke zum Employer Branding, also die Positionierung von Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber und die positive Abgrenzung von anderen Wettbewerbern im Arbeitsmarkt. Die jüngeren Generationen wachsen mehr und mehr in verantwortungsvolle Positionen hinein und werden in wenigen Jahren die Mehrheit der Arbeitnehmer:innen und Führungskräfte stellen. Doch zunächst müssen Unternehmen für diese Kreise, denen selbsterfülltes Arbeiten und die Abkehr von einer rein gewinnorientierten Unternehmensführung wichtig ist, interessant werden, um sie überhaupt gewinnen und binden zu können.
Ethisches Verhalten von Führungskräften ist ein erheblicher Erfolgsfaktor
Das Recruitment in diesen Personengruppen unterscheidet sich dezidiert von den aus der Vergangenheit bekannten Mustern, in denen Gehalt und unternehmerische Statussymbole die Attraktivitätstreiber schlechthin waren. Die Generation Y, deren Angehörige im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurden, und die Nachfolgegeneration Z (geboren von 1997 bis 2012) suchen dezidiert nach Ethikorientierung in der beruflichen Tätigkeit, gerade auch unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie. Die höhere Bedeutung der Arbeit, die werteorientierte Ausrichtung des Unternehmens und die Verantwortung von Unternehmen für das gesellschaftliche Miteinander und Wohlbefinden: Das steht im Fokus der jüngeren Arbeitnehmer:innen, die sich für einen Arbeitgeber entscheiden.
Übrigens: Ethisches Verhalten von Führungskräften ist ein erheblicher Erfolgsfaktor. Laut der GALLUP-Studie von 2016 sorgen Mitarbeiter:innen, die nur ihre Aufgaben abarbeiten und innerlich mit dem Job schon abgeschlossen haben, für Produktionseinbußen und Einnahmeausfälle im Umfang von 80 bis 105 Milliarden Euro jährlich. Ethikorientierte Führung könne die Erfüllung dieser Wünsche unterstützen und verhindere so innere Kündigungen, und Mitarbeiter:innen, die eine enge Bindung an ihr Unternehmen hätten, seien dagegen produktiver, empföhlen ihren Arbeitsplatz häufig weiter und hätten weniger Fehlzeiten als Mitarbeiter:innen, die innerlich gekündigt hätten, schreibt Dominik Ernste (2017).
Schlechten Ruf der Branche verbessern
Gerade das Gastgewerbe mit der Vielzahl an kleinen und mittelständischen Unternehmen aus Hotellerie und Gastronomie muss diesen Paradigmenwechsel erkennen und in den eigenen Strukturen umsetzen. Der Ruf der Branche als ruppig und auslaugend ist immer noch präsent, das Verhalten von Küchenchefs als Feldherren noch immer nicht abgehakt. Dass New Work mit seinen Formen wie hybrider Arbeit, flexiblen Arbeitszeiten und Co. nicht mit den Strukturen des Gastgewerbes vereinbart sind, bedarf keiner Diskussion. Auch ist es kaum möglich, während der Arbeitszeit in Hotellerie und Gastronomie kleine Meetings zum Austausch zu organisieren und Mitarbeiter:innen regelmäßige Freiräume fürs Denken und eigene Projekte zu schaffen. Das ist im Tagesablauf mit Gästen nicht zu schaffen.
Aber die ethischen Forderungen des New Work, durch Arbeit sich selbst zu verwirklichen und die Gesellschaft damit fördern zu können, sind in der Branche natürlich nicht außer Kraft gesetzt. Vielmehr werden sich diese Aspekte auch in Hotellerie und Gastronomie durchsetzen und zum typischen Anforderungskatalog für Mitarbeiter:innen gehören. Das können Unternehmen des Gastgewerbes sicherstellen, die Chancen und Möglichkeiten haben diese Unternehmen wie alle anderen auch. Das hat mit Stimmung am Arbeitsplatz zu tun, mit dem zwischenmenschlichen Umgang über alle Ebenen hinweg und der Wertschätzung, mit der bewussten Reduzierung von (mentalem) Stress und der persönlichen Weiterentwicklung der Mitarbeiter:innen.
Den Mitarbeiter:innen das bieten, was diese wirklich wollen
Lippenbekenntnisse reichen dafür nicht aus. Echte Führungsethik muss in Unternehmen implementiert und gelebt werden. Die unternehmerische Ausrichtung auf Ethik und Nachhaltigkeit ist nicht möglich, wenn dies nicht über eine konsequente Führungsstrategie verankert und laufend umgesetzt und kontrolliert wird.
Unternehmen müssen sich im Sinne von New Work und der Ethik-adäquaten Führung so verändern, dass sie die Zeichen der Zeit aufnehmen und den Mitarbeiter:innen das bieten, was diese wirklich wollen. Althergebrachte Managementsysteme müssen hinsichtlich ihrer Kennziffern und Erfolgsmessungen Änderungen erfahren, um den neuen Ansprüchen gerecht zu werden. Ethik und Nachhaltigkeit in der Führung sind einmal mehr erfolgskritische Faktoren für Organisationen.
Das bedarf gegebenenfalls externer Beratung, um Augen für Neues zu öffnen und die wesentlichen Themen wirklich ohne Scheuklappen anzugehen. Das wird dabei helfen, Hotels und Gaststätten im Employer Branding nach vorne zu bringen und für die Reputation als Arbeitgeber für die Zukunft zu sichern.
Autor
Dr. Patrick Peters ist Professor für PR, Kommunikation und digitale Medien an der Allensbach Hochschule und befasst sich als Berater, Publizist und Wissenschaftler ausgiebig mit Ethik und Kommunikation. Er war Chefredakteur des Gastgewerbe-Magazins und berät Hoteliers und Gastronomen bei diesen Fragestellungen. www.pp-text.de