Warum gab es für manche Beschäftigte kein Kurzarbeitergeld?
In den Jahren 2020 und 2021 musste gerade das Gastgewerbe in vielen Fällen wegen harter Lockdown-Maßnahmen in großem Umfang Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen. Die Voraussetzungen dafür wurden gerade erst bis zum 31.12.2021 erleichtert. Nach wie vor ist es aber ausgeschlossen, Kurzarbeitergeld für nicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, also vor allem Minijobber (sog. „450-Euro-Kräfte“) zu gewähren. Auch nach Ausspruch einer Kündigung darf z.B. kein Kurzarbeitergeld bewilligt werden, da dieser Arbeitsplatz durch die Sozialleistung nicht erhalten werden kann.
Die Rechtsprechung und mit ihr die Berater gingen bislang davon aus, dass der Arbeitgeber, dem wegen der staatlich angeordneten „Lockdown-Schließungen“ keine Beschäftigung des Arbeitnehmers möglich war, zur Weiterzahlung des Gehalts verpflichtet war.
Warum wurde das Gehalt gezahlt, wenn die Mitarbeiter doch nicht gearbeitet haben?
Man nahm bisher an, dass es zum besonderen Risiko des Betriebsinhabers gehört, seinen Betrieb aufgrund der Risiken zu schließen, welche mit den durch den Betrieb eröffneten sozialen Kontakten und Begegnungen verbunden sind (Lehre vom Betriebsrisiko). Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAG, Urteil vom 23.09.2015 , Az. 5 AZR 146/15) ist seit vielen Jahren bekannt und wurde in den bekannten Fällen auf die Corona-Lockdown-Maßnahmen angewendet. Während für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen werden konnte, musste für Minijobber und gekündigte Arbeitnehmer das Gehalt mindestens bis zum Ablauf der Kündigungsfristen weiterbezahlt werden.
Was hat sich nun geändert?
In seiner Entscheidung vom 13.10.2021 (Az. 5 AZR 211/21) hat das Bundesarbeitsgericht nun überraschend festgestellt, dass Minijobber keinen Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts haben, wenn der Betrieb aufgrund der allgemeinen staatlichen Corona-Lockdown-Maßnahmen schließen muss und es keine Möglichkeit gibt, den Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen.
Das war von den meisten Fachleuten so nicht erwartet worden. Die Entscheidung wird damit begründet, dass die Betriebsschließung nicht dem Betriebsrisiko des Arbeitnehmers zuzuordnen ist, sondern allein den hoheitlich angeordneten Lockdown-Maßnahmen, welche der Staat aus Sicherheitsgründen allen auferlegt. Das gilt aber nur, wenn kein anderer Einsatz dieses konkreten Arbeitnehmers möglich ist, z.B. bei Umbau- oder Renovierungsmaßnahmen, im Home-Office o.ä. Ob der Arbeitgeber vielleicht sogar verpflichtet ist, seinen Gaststättenbetrieb auf einen Lieferdienst umzustellen, um die Beschäftigung zu ermöglichen, musste das Bundesarbeitsgericht nicht entscheiden.
Das gilt aber dann nicht, wenn es keinen „harten Lockdown“ mit staatlich angeordneter kompletter Schließung aller Betrieb bestimmter Branchen gibt, sondern Arbeitgeber ihren Betrieb wegen der Einschränkungen „freiwillig“ so organisieren, dass bestimmte Mitarbeiter nicht beschäftigt werden können. Das kann zwar wirtschaftlich vernünftig sein, unterliegt aber der eigenen unternehmerischen Entscheidung.
Inzwischen gibt es keine kompletten Lockdown-Schließungen ganzer Branchen mehr, so dass dieses Urteil (hoffentlich) nur für die Vergangenheit Bedeutung hat. Soweit heute Personal nicht beschäftigt wird, entspringt dies einer Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und gehört damit zu seinem Betriebsrisiko.
Können Arbeitgeber Gehalt für Lockdown-Zeitraum zurückfordern?
Manche Arbeitgeber werden nun prüfen wollen, ob sie gezahltes Gehalt zurückfordern können, welches sie an die o.g. Gruppen von Beschäftigten gezahlt haben, denen kein Kurzarbeitergeld zustand. Da es sich um eine sogenannte „ungerechtfertigte Bereicherung“ handelt, dürfte grundsätzlich ein Rückforderungsanspruch in Betracht kommen (§ 812 BGB). Dem Arbeitnehmer stand die Gehaltsfortzahlung ja aus dem Arbeitsvertrag nicht zu, da nach Meinung des Bundesarbeitsgerichts hier der Grundsatz „ohne Arbeit kein Geld“ zur Anwendung kommt.
Kann der Mitarbeiter sich darauf berufen, dass er das Geld nicht mehr hat?
Der Anspruch scheidet allerdings aus, wenn der Arbeitnehmer die Gehaltszahlungen im guten Glauben daran ausgegeben hat, dass er die Entgeltfortzahlung zu Recht erhalten hat (Einwand der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB). Zumindest bei kleinen und mittleren Einkommen nehmen die Arbeitsgerichte an, dass der Arbeitnehmer die Überzahlung zur Deckung seines Lebensunterhalts ausgegeben hat. Die wenigsten Minijobber werden die Gehaltszahlung behalten, in der Regel werden sie den Lohn ausgeben. Da zum Zeitpunkt der Gehaltszahlung ja anscheinend beide Vertragsparteien davon ausgingen, dass dem Arbeitnehmer das Geld zustehen würde, und die Änderung der Rechtsprechung auch für die meisten Arbeitsrechtsexperten überraschend war, kann sich der Arbeitnehmer wohl in der Regel darauf berufen, dass er das Geld in guten Glauben daran ausgegeben hat, dass es ihm auch zusteht. Wichtig ist aber zu prüfen, ob der Einwand der Entreicherung im konkreten Einzelfall nicht durch Tarif- oder Arbeitsvertrag ausgeschlossen wurde, was oft der Fall ist.
Was könnte dem Rückforderungsanspruch noch entgegenstehen?
In vielen Fällen gelten im Arbeitsverhältnis sog. Ausschluss- oder Verfallsklauseln, welche dazu führen, dass Ansprüche nach einem bestimmten Zeitablauf nicht mehr geltend gemacht werden können. Die Geltendmachung muss rechtzeitig und in einer vorgeschriebenen Form (Textform, gerichtlich) erfolgen. Diese Fristen laufen unabhängig davon, ob dem Anspruchsteller klar ist, dass er einen Anspruch hat. In vielen Fällen werden diese Klauseln, welche oft aufgrund Arbeits- oder Tarifvertrag zur Anwendung kommen, eine Rückforderung ausschließen.
Arbeitgeber im Gastgewerbe, welche die Rückforderung von Gehalt wegen der geänderten Rechtsprechung erwägen, sollten unbedingt sorgfältig prüfen, ob die Nicht-Beschäftigung wirklich alternativlos war. In manchen Fällen konnten Minijobber auch während des Lockdowns (zumindest im Prinzip) beschäftigt werden und die Nicht-Beschäftigung unterlag einer Organisationsentscheidung des Arbeitgebers. Diese darf er natürlich treffen, dann muss er aber wegen der genannten Lehre vom Betriebsrisiko das Gehalt des Arbeitnehmers weiterzahlen.
Jedenfalls ist dringend anzuraten, vor der Rückforderung von Gehaltsansprüchen kompetenten arbeitsrechtlichen Rechtsrat einzuholen.
Autoreninfo:
Dr. Schürmann war mehrere Jahre an der Fachhochschule Nordostniedersachsen beschäftigt, bevor er im Jahr 2000 in Hamburg als Rechtsanwalt einer kleineren Kanzlei beitrat. Er berät seine Mandanten in zahlreichen Rechtsbereichen (u.a. auch im Sozialversicherungs- und Arbeitsstrafrecht), bei Bedarf auch in polnischer und englischer Sprache.