Worum ging es in dem Fall vor dem BGH?
Geklagt hatte ein Gastronom und Hotelier aus Brandenburg, dessen Betrieb aufgrund einer flächendeckenden Verordnung des Landes im ersten Corona-Lockdown komplett für den Publikumsverkehr schließen musste. COVID-19-Fälle waren bei ihm nicht aufgetreten. Die Investitionsbank Brandenburg zahlt an ihn 60.000 Euro als Corona-Soforthilfe. Der Betrag glich die erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen aber nicht aus, sodass der Gastronom zusätzlich vom Land Brandenburg eine Entschädigung verlangte. Diese hielt er verfassungsrechtlich für geboten.
Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht blieb die Klage erfolglos. Und auch der BGH stellte nun in letzter Instanz fest: Für eine Entschädigung besteht keine gesetzliche Grundlage.
Staatliche Entschädigungen – wie ist die Rechtslage?
Um die Entscheidung des BGH zu verstehen, muss man sich die gesetzlichen Grundlagen ansehen, auf die sich Ansprüche Privater gegen den Staat grundsätzlich stützen können. Die Gerichte haben sich in ihren Urteilsbegründungen durchaus sehr detailliert damit auseinandergesetzt.
Zunächst ist da das Infektionsschutzgesetz (IfSG), in dem geregelt ist, wann der Staat Betriebe und Arbeitnehmer, die von den Folgen der Pandemie unmittelbar betroffen sind, finanziell unterstützt. § 56 und § 65 IfSG sehen Entschädigungen allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen vor. Dazu gehört zum einen Ersatz für Verdienstausfall, wenn jemand an Corona erkrankt bzw. infiziert ist oder sich Quarantäne begeben muss. Diese Regelung bezieht sich also auf personenbezogene behördliche Anordnungen in einzelnen Fällen, aber nicht auf flächendeckende und verdachtsunabhängige Betriebsschließungen. Zum anderen können behördliche Maßnahmen zum Ausgleich verpflichten, wenn sie vorbeugend dazu dienen, die Übertragung einer Krankheit, hier COVID-19, zu verhindern – Corona war aber bereits bundesweit verbreitet, als die Behörden die Betriebsschließungen anordneten.
Entschädigungen für flächendeckende staatliche Schutzmaßnahmen, insbesondere für die Schließung von Gewerbebetrieben durch eine Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung, regelt das Gesetz hingegen nicht. Hierzu erklärt der Bundesgerichtshof vielmehr in seiner Pressemitteilung (die Urteilsgründe liegen noch nicht vor), das Infektionsschutzgesetz sei in seinem Wortlaut klar und lasse keine erweiternde Auslegung zu; dies würde auch den eindeutigen Willen des Gesetzgebers konterkarieren, nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit einzelne Personen zu entschädigen. Schon das OLG Brandenburg hatte dies sehr ausführlich begründet und unter anderem darauf abgestellt, dass im Lockdown kein Gastronom ein individuelles Sonderopfer erbracht habe, das der Staat – jenseits der versehenen Soforthilfen – besonders ausgleichen müsse. Oder anders ausgedrückt: Corona betraf letztlich uns alle.
Die BGH-Richter gehen noch auf eine Reihe weiterer möglicher Anspruchsgrundlagen ein, darunter der sogenannte enteignende Eingriff und weitere anerkannte Rechtsgrundsätze der Staatshaftung. Hier gilt jedoch, dass das Infektionsschutzgesetz (das im Hinblick auf Entschädigungen ja nicht greift) als Spezialregelung Vorrang genießt und diese Entscheidung des Gesetzgebers nicht durch Richterrecht unterlaufen werden darf. Zwar haben Bund und Länder sozialstaatliche Verpflichtungen, denen sie auch und gerade während der Corona-Pandemie nachkommen müssen. Insoweit hat der Gesetzgeber aber einen Spielraum, ob er konkrete Ausgleichsansprüche einzelner Geschädigter regelt. In der COVID-19-Pandemie hat er diese Pflicht aus Sicht des BGH mit den „Corona-Hilfspaketen“ erfüllt. Darüber hinaus folgt aber aus dem im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsprinzip – so formuliert es der BGH – „dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen“.
Ist das alles nachvollziehbar?
Der BGH macht deutlich, dass in den corona-bedingten flächendeckenden Schließungen ein Massenphänomen liegt, das mit Entschädigungsansprüchen Einzelner rechtlich nicht zu bewältigen ist. Das ist im Ergebnis für Betriebe, die von den Pandemiefolgen besonders betroffen waren und sind, unbefriedigend. Es ist rechtlich aber nachvollziehbar und liegt im Einklang mit den anerkannten Grundsätzen des Staatshaftungsrechts. Gibt es – wie hier – keine gesetzliche Sonderregelung, müssen Betroffene in erster Linie die Rechtmäßigkeit einzelner staatlicher Maßnahmen prüfen und sich gegebenenfalls gerichtlich dagegen wehren. Sind die Beschränkungen rechtmäßig, wovon der BGH im Hinblick auf den Corona-Lockdown ausgeht, liegt die Schwelle für einen Entschädigungsanspruch hoch. Voraussetzung ist dann im Wesentlichen, dass einzelne Betroffene unzumutbar belastet werden. Da die Betriebsschließungen während der Corona-Pandemie landes- und bundesweit galten, betrafen sie aber eine „unbestimmte Vielzahl“ an Personen. In solchen Fällen geht die Rechtsprechung seit je her davon aus, dass keine Entschädigungen verlangt werden können, die nach Anzahl und Umfang potenziell uferlos wären.
Das Urteil des BGH hat bundesweit Bedeutung und gibt nunmehr die Richtung vor auch für andere Fälle, in denen Gastronomen oder sonstige Gewerbetreibende auf Entschädigung geklagt haben. Solche Klagen dürften nur noch dann Erfolgsaussichten haben, wenn die staatlichen Maßnahmen rechtswidrig waren oder im Einzelfall Betroffene doch ein Sonderopfer erbracht haben, weil sie über die Allgemeinheit hinaus weitere Nachteile hatten oder Adressaten individueller Anordnungen waren.
Gegen das Urteil des BGH ist zwar noch eine Verfassungsbeschwerde möglich. Interessanterweise zog das Bundesverfassungsgericht in einer anderen Sache kurz vor dem Urteil des BGH sogar in Betracht, ob die Regelungen des IfSG „verfassungskonform“ zugunsten eines Entschädigungsanspruchs ausgelegt werden könnten. Diesen Ball spielte es aber vorrangig dem BGH zu. Nachdem dieser eine entsprechende Auslegung ablehnte, ist eher nicht zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht eine andere Auffassung für zwingend halten würde.