Zeit für etwas Pragmatismus
Wie bei allen technologischen Entwicklungen mangelt es nicht an Experten (und Verkäufern), die in diesen Innovationen neue Heilsbringer sehen. Ebenso gut verkauft sich die gegenteilige Haltung, nämlich die des Techno-Skeptikers. Wo die einen reines Potenzial sehen, sehen die anderen nur Gefahr. Zwischen der Rettung der Menschheit und ihrem Untergang gibt es da wenig Graubereiche. Aber genau die braucht es für eine differenzierte und pragmatische Betrachtung.
Wenn man ein wenig länger und ohne Hysterie über die Frage nachdenkt, ob Künstliche Intelligenz nun die Menschheit nach vorne katapultieren oder ins Verderben stürzen wird, merkt man, dass hier ein Gegensatz konstruiert wird, der gar nicht existiert. Wenn KI oder auch deutlich simplere digitale Prozesse Arbeiten übernehmen, die vorher von Menschen erledigt wurden, dann kann man das schlimm finden oder gut. Ist es nicht ein Gewinn, wenn immer weniger Menschen stupiden Tätigkeiten nachgehen müssen? Ja, aber nicht unbedingt für die Menschen, deren Gehaltszahlung bisher davon abhing. Und, ebenso wichtig: auch nicht immer für Kundinnen und Kunden.
Wenn man diese Entwicklungen rein aus unternehmerischer Sicht betrachtet, gibt es also keine eindeutig positive oder negative Sicht. Wenn ich mich der Digitalisierung und den Potenzialen von KI verweigere, bleibe ich sehr wahrscheinlich auf unnötigen Kosten sitzen. Vielleicht merke ich das erst gar nicht, aber wenn die Konkurrenz durch Technologie effizienter agiert als ich, ist es oft schon zu spät. Wenn ich aber andererseits komplett digitalisiere und automatisiere, was ich nur digitalisieren und automatisieren kann (und das kann dank KI so ziemlich alles sein), dann werde ich ebenso einen Preis dafür bezahlen. Nämlich den, den Wert des Menschlichen nicht ausreichend einkalkuliert zu haben.
Denn in fast schon schicksalhafter Weise führt uns doch der zunehmende Wechsel vom Analogen ins Digitale und aktuell von der menschlichen auf die künstliche Intelligenz genau das vor Augen, was Menschlichkeit wirklich ausmacht. Und an wenigen Orten wird das so deutlich und bedeutsam wie an den Orten, wo der Mensch Gast ist.
Der Wert des Dienens
Auf Latein heißt Gast hospes. Dieser Begriff steckt als Wurzel in einer ganzen Reihe von Wörtern aus unserem heutigen Sprachgebrauch: Hospital, Hospiz, Hotel. Und es ist kein Zufall, dass uns dieser Wortstamm von Geburt bis zum Lebensende ständig begleitet. Schließlich geht auch das Wort Hospitality darauf zurück, wörtlich die Gastfreundschaft und heutzutage ein Sammelbegriff für eine ganze Branche.
Immer dann, wenn es um unsere ganz elementaren menschlichen Bedürfnisse geht, wenn wir schlafen, essen, trinken und Ruhe finden wollen, dann wünschen wir uns, dass sich jemand um uns kümmert. Wir Menschen sind soziale Wesen, Rudeltiere. Ohne menschliche Zuwendung können wir nicht existieren. Es ist wichtig, sich das bewusst zu machen, wenn man mit Menschen als Gästen zu tun hat.
Menschen kommen nicht ins Restaurant zur Nahrungsaufnahme und Anregung der Verdauung. Sie kommen nicht in Hotels, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie kommen nicht in Cafés, weil sie nicht in der Lage wären, zuhause Kaffee zu kochen. Sie kommen, um menschliche Nähe und Gemeinschaft zu erleben – und um bedient zu werden. Und es gibt einen eklatanten Unterschied zwischen dem Service, den ein Computer bietet, und echtem Dienst am Menschen. In der Digitalisierung und KI steckt ein enormer Wert. Aber wenn wir das Dienen den Servern überlassen und die existenzielle Bedeutung des Menschlichen ignorieren, werden wir scheitern.
Schnaps und Roboter
Ein paar Beispiele aus der persönlichen Erfahrung der letzten Monate: Beim morgendlichen Frühstücksbüffet in einem Kölner Hotel fragt mich eine Mitarbeiterin, die zufällig beim Warten an der Kaffeemaschine neben mir steht: „Und, haben Sie gut bei uns geschlafen?“. Aus dieser einfachen Frage entstand ein netter Small Talk. Man stelle sich vor, die Betreiber würden statt der Mitarbeitenden ein kleines Display am Eingang zum Restaurant aufstellen, das die Gäste mit der gleichen Frage empfängt: „Haben Sie gut bei uns geschlafen?“, mit der Möglichkeit, über einen Touchscreen Feedback zum eigenen Schlaf abzugeben. Es wäre eine völlig andere Erfahrung: anonym, unpersönlich und fast schon übergriffig.
Ein paar Monate später: Nach einer anstrengenden Autofahrt mit der Familie kommen wir ziemlich gestresst und erschöpft in unserer Unterkunft im Zillertal an. Die Gastgeberin begrüßt uns freundlich mit den Worten: “Wollen Sie vielleicht erst mal einen Obstler zum Ankommen?”. Ab dem Moment hat der Urlaub für uns richtig angefangen. Auch hier kann man sich eine automatisierte Alternative vorstellen: ein digitaler Check-in mit einem Schnaps-Spender neben einem Terminal. Das Ergebnis wäre faktisch das gleiche, aber emotional ein komplett anderes. Das Schöne war ja nicht der kostenlose Alkohol, sondern das Gefühl von Willkommen und Gemeinschaft.
Ein letztes Beispiel, in diesem Fall ein negatives: In einem Autobahn-Restaurant nahe Salzburg wird uns das Essen von einem Roboter gebracht. Die Kinder fanden das zuerst noch lustig, aber insgesamt trug diese “Bedienung” einfach nur zur tristen Gesamtatmosphäre bei: kalt und unpersönlich, während draußen die Lastwagen vorbei dröhnen. Man hätte sich in der Situation einfach nur ein freundliches Gesicht gewünscht.
Analysieren, abwägen, Ideen entwickeln
Ganz wichtig: Dieser Text ist kein Plädoyer gegen Digitalisierung. Für jedes Beispiel wie die oben erzählten lassen sich Gegenbeispiele finden, bei denen durch wirklich kundenzentrierte Digitalisierung und durch die Fortschritte der Künstlichen Intelligenz enorme Gewinne für Gäste erzielt werden. Smarte Buchungsprozesse, virtuelle Reise-Assistenten, blitzschnelle BestellTechnologien sind nur einige Beispiele dafür, wie Kundenerlebnisse verbessert werden – und sich gleichzeitig Kosten reduzieren lassen.
Es geht aber darum, sehr genau hinzuschauen und diese Customer Experience nicht als eine prozessuale Herausforderung zu sehen, die man kostenseitig optimieren und maximal auf Effizienz trimmen muss. Gerade in den nächsten Jahren werden KI-basierte Anwendungen das Gastgewerbe genauso revolutionieren wie andere Branchen. Davor darf und sollte man sich nicht verschließen. Aber immer nach der Maxime: Nicht alles, was man machen kann, ist auch sinnvoll.
Und da sind Hotels, Restaurants und Cafés in einer ganz besonderen Position. Denn echtes Dienen am Menschen, also eine Dienstleistung, die Menschen in ihrem Herz- und Bauchgefühl erreicht – das können nur andere Menschen. Es braucht also nicht nur mehr Server-Kapazitäten, sondern auch mehr Diener. Die Verantwortlichen und Vordenker der Branche sollten sich also nicht nur intensiv mit den technologischen Möglichkeiten beschäftigen, sondern im gleichen Maße mit den Herausforderungen im Bereich der “Human Resources”: Wie gewinnt man geeignete Menschen für diese elementaren Aufgaben? Wie vermittelt man Mitarbeitenden die enorme Relevanz ihres persönlichen Handelns? Und wie kann ich das, was meine Gäste in ihrem Innersten erreicht, besonders gut machen?