Was bedeutet der Pflichtteil im deutschen Erbrecht?
Der Pflichtteil ist ein wichtiger Bestandteil des Erbrechts. Zwar ist das deutsche Zivilrecht vom Prinzip der Privatautonomie geprägt, die sich auch in der Testierfreiheit widerspiegelt. Jeder Erblasser kann also in seinem Testament grundsätzlich eigene, von der gesetzlichen Erbfolge abweichende, Regelungen treffen. Dabei kann er auch seine nächsten Angehörigen enterben, diese also vom Erbe ausschließen. „Das bedeutet aber nicht, dass diese dann wirklich ‚enterbt‘ sind und sie keinerlei Ansprüche mehr gegen den Erben stellen können. Sie können nach §§ 2303ff. BGB Pflichtteilsansprüche geltend machen“, erläutert der Düsseldorfer Rechtsanwalt und Erbrechtsexperte Dr. Christopher Riedel.
Wie hoch ist dieser Pflichtteilsanspruch?
Der Pflichtteil besteht grundsätzlich in einem Geldbetrag in Höhe der Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils. Damit hängt er vor allem davon ab, wie viele Erben es gibt. Christopher Riedel gibt ein Beispiel: „Hat ein verwitweter Erblasser zwei Kinder, steht ihnen nach der gesetzlichen Erbquote jeweils 50 Prozent des Nachlasses zu. Der Pflichtteil beläuft sich in diesem Fall also auf 25 Prozent, nämlich die Hälfte der Hälfte. Bei einem beispielhaften Vermögen von einer Million Euro beläuft sich der Pflichtteil also je Kind auf 250.000 Euro.“ Etwas anderes ist die Konstellation, wenn der Erblasser einen Ehepartner und drei Kinder hat, von denen eines nicht bedacht werden soll. Dann wäre es – Zugewinngemeinschaft als Güterstand unterstellt – die Hälfte der gesetzlichen Erbquote von 16,66 Prozent, also rund 8,33 Prozent. Im Beispiel mit einer Million Euro läge der Pflichtteil bei 8333 Euro. „Wichtig: Der Pflichtteil ist grundsätzlich ein Baranspruch und unverzüglich zu begleichen. Das bedeutet also, dass der übergangene Erbe gegenüber dem oder den Erben den Anspruch direkt nach dem Erbfall geltend machen kann“, betont Christopher Riedel.
Wie wirkt sich der Pflichtteil bei Unternehmern aus?
„Das ist eine wichtige Frage von enormer Tragweite. Denn durch die durchaus teilweise hohen Vermögenswerte fällt natürlich durch das Pflichtteilsrecht ein ordentlicher Anspruch an“, sagt Christopher Riedel. Auch dies macht der Rechtsanwalt wieder an einem Beispiel fest: Werden im Ausgangsbeispiel Gesellschaftsanteile im Wert von zehn Millionen Euro nur an eines der Kinder weitergegeben, resultiert daraus zunächst, wenn es keine alternativen Regelungen gibt, ein Anspruch von 2,5 Millionen Euro, also die Hälfte des eigentlichen Erbteils von fünf Millionen Euro. „Im Rahmen der Unternehmensübertragung kann es also bei einer Pflichtteilsberechtigung zu einer hohen Belastung kommen, die der Erbe tragen muss – aber woher soll der Erbe diesen Baranspruch nehmen? Das geht oftmals nur durch den Verkauf anderer Vermögenswerte wie einer Immobilie oder sogar Unternehmensanteilen.“
Wie kann dieses Problem umgangen werden?
Sofern Unternehmer dazu neigen, einen oder mehrere gesetzliche Erben testamentarisch von der Unternehmensnachfolge auszuschließen, sollten sie das Thema Pflichtteil keinesfalls einfach auf sich zukommen lassen, rät der Erbrechtsexperte. Es sei entscheidend, dass sie langfristig planten, wie sie mit etwaigen Pflichtteilsansprüchen umgehen wollten und könnten. „Sie brauchen eine Strategie dafür, die rechtlich und betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. Es geht schlicht darum, dass die Substanz des Familienvermögens nicht geschädigt wird.“ Eine gängige Lösung sei die Vereinbarung eines Pflichtteilsverzichts gegen Abfindung. Dies kann langfristig betrachtet äußerst sinnvoll sein, um die späteren Pflichtteilsansprüche eines Abkömmlings gegen die Erbmasse frühzeitig auszuschließen beziehungsweise abzufinden. „Das bedeutet konkret, schlicht eine Summe zu verhandeln, die dem übergangenen Erben gezahlt wird, während der andere Erbe das Unternehmen erhält. Das kann Barvermögen sein, das können Immobilien oder auch Wertpapierdepots sein. Es muss aber professionell gestaltet und in jedem Fall notariell beurkundet werden.“ Solche Fallstricke bei der Unternehmensnachfolge müssten gastgewerbliche Unternehmer beachten, um nicht in ein potenzielles Krisenszenario zu geraten. In die rechtliche und steuerliche Strategie der Vermögensübertragung sollten daher auch Fragestellungen rund um mögliche Pflichtteilsansprüche implementiert werden. Erst das führe zu einer professionellen Planung der umfassenden Nachfolge und verhindere teure Fehlentscheidungen.