Beim Wechsel von Plastik- auf Primärfaserpapierverpackungen verschieben sich die Probleme nur in andere Bereiche. Zwar lassen sich Papiere ohne Kunststoffbeschichtung wieder dem Recycling zuführen, doch die Herstellung ist höchst problematisch. Zum einen ist die Papierindustrie drittgrößter Energieverbraucher nach Metallerzeugung und Chemischer Industrie und die Herstellung benötigt Wasser und Chemikalien. Zum anderen steigt der Druck auf die Wälder, die wichtige Partner beim Kampf gegen die Klimakrise sind und viel zu schade für kurzlebige Nutzung. Vielmehr sollte ihr Holz im Bau CO2-intensive Rohstoffe wie Stahl oder Beton ersetzen. Allerdings in Maßen, denn Waldschutz und -regeneration machen gerade angesichts der verheerenden Schäden der vergangenen Trockensommer eine viel behutsamere Forstwirtschaft notwendig, die sich am Ökosystemschutz orientieren muss und an den Leistungen, die der Wald für uns als Gesellschaft erbringt. So fordern Waldexpert*innen aus Umweltverbänden und Universitäten mehr Wald naturnah zu belassen und die Einschläge deutlich zu reduzieren.
Selbst das stärkste Waldzertifizierungs-System FSC erlaubt Urwaldabholzung, z. B. in Russland und Kanada. Von dort beziehen wir einen Teil unseres Papierholzes, doch es gelten nicht Deutschlands strenge FSC Standards. Auch in Skandinavien werden schützenswerte Bestände eingeschlagen. Kommen Papierfasern hingegen aus Eukalyptusplantagen in Brasilien, gehören Wasserverknappung und Pestizidbelastung zu den Folgen. Zudem werden Bauernfamilien unter teils schweren Menschenrechtsverletzungen von ihrem Land vertrieben. Wo weder Mehrweg noch Recyclingpapier Anwendung finden kann, sollten deshalb Primärfaserqualitäten aus heimischem, FSC-zertifiziertem Wald gewählt werden. Ebenso werden FSC-Wälder z. B. in Österreich empfohlen. Die Holzherkunft muss man bei den Herstellern bzw. Händlern erfragen, da sie i. d. R. nicht transparent ist.
Leider sind auch „biobasierte“ und „biologisch abbaubare“ Einwegprodukte z. B. aus Mais mit Belastungen für Mensch, Umwelt und Klima verbunden und stellen oft eine direkte Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion dar (s. UBA https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/biobasierte-biologisch-abbaubare-einwegverpackungen). Vorsicht ist also geboten bei Bewerbungen als „nachhaltig“, „natürlich“, „nachwachsend“ – entscheidend sind anerkannte Umweltzeichen mit überprüfbaren Kriterien. Dies gilt natürlich auch für Tüten, Servietten, Besteck.
Eine Lösung bieten Poolsysteme für Lebensmittel und Getränke, die Becher, Teller, Schüsseln und Deckel zum Verleih anbieten und sich um die Logistik kümmern. Eine Auflistung verschiedener Anbieter bietet die UBA-Broschüre. Zwei von ihnen, Faircup / FairBox2go und Recup / Rebowl, erfüllen die Kriterien des Blauen Engel für ressourcenschonende Mehrwegsysteme (u. a. Anforderungen an Materialien, Logistik und Recycling der Behälter am Ende ihrer Lebensdauer). Ebenso können Gastronomen auch eigene Gefäße z. B. mit Logo anbieten und die Kund*innen dazu auffordern, Behältnisse mitzubringen. Die Broschüre gibt Hilfestellung zu Finanzierung, Organisation, Hygiene – laut Lebensmittelverband ist Mehrweg auch in der Pandemie kein Problem! – sowie Rückgabeanreizen. Kommunen oder Mehrwegsystemanbieter übernehmen Schulungen für Mitarbeitende und stellen kostenfrei Infrastruktur zum hygienischen Befüllen und Austausch von Gefäßen wie Rückgabekörbe und Kellen plus Werbematerial. Mehrkosten können durch erhöhte Kundenbindung und Gewinnung neuer Kund*innen ausgeglichen werden. Denn das steigende Bewusstsein der Bevölkerung für die drängenden ökologischen Krisen macht das Angebot von Mehrwegsystemen immer mehr zum Imagefaktor und Wettbewerbsvorteil. Außerdem profitieren teilnehmende Betriebe von kommunalen Vernetzungsaktivitäten und Pressearbeit und werden auf Online-Plattformen und Apps der Systemanbieter beworben.
Die Nutzung von Mehrweglösungen ist ein entscheidender Beitrag zu Ressourcenschutz, Energieeinsparung, Natur-, Klima- und Artenschutz. Entsprechend machen EU-Initiativen wie der Green Deal Einwegverpackungen immer unattraktiver. Ideal wäre ein deutschlandweites System wie bei Pfandflaschen, mit einheitlichen Gefäßen und kurzen Transportwegen. Auch hier können Gastronomen aktiv werden, indem sie die Politik zum Handeln auffordern und dabei deutlich machen: „Wir sind bereit, traut Euch!“.
Weitere Informationen rund um das Thema Mehrweg bieten die Seiten des Umweltbundesamtes.
Evelyn Schönheit, Dipl. Umweltwissenschaftlerin, Forum Ökologie & Papier
- Expertenmeinung
Zukunftsfähig mit Mehrweg
Angesichts der Einschränkungen durch die Corona-Krise bieten mehr Gastronomiebetriebe Speisen zum Mitnehmen bzw. Essenslieferungen an. Laut Umweltbundesamt (UBA) verursachten 2017 Einweggeschirr und Verpackungen „to-go“ über 346.000 Tonnen Müll, unter Corona stieg der Verpackungsmüll nochmal um gut 7 % an. Zwar sind seit Juli Einweg-Produkte aus Plastik und Styropor, wie z. B. Trinkhalme, Einmalgeschirr und -besteck europaweit verboten, doch man täuscht sich, wenn man davon ausgeht, Papier und Holz seien ökologisch und sozial verträgliche Alternativen. Wo immer möglich sollten zukunftsfähig orientierte Gastronomen verstärkt auf Mehrweg-Lösungen setzen.
- Online-Redaktion
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