Jedes Jahr werden allein der Gastronomie über drei Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, das sind 18 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel. Warum ist das aus Ihrer Sicht so viel? Wo sind die Ursachen?
Gilian Gerke: Zum einen hat das natürlich mit dem Anspruchsdenken der Gäste zu tun, die beispielsweise bei einem Buffet bis zum Schluss erwarten, dass alle Schüsseln gefüllt sind oder auf der Karte eine möglichst große Auswahl zu finden ist. Das führt zu Überproduktion, die dann im Abfall landen muss. Aber natürlich hat die Lebensmittelverschwendung – und das ist aus meiner Sicht ein häufiger Grund – auch mit der Fehlplanung der Unternehmer zu tun. Das kann man leider immer wieder beobachten.
Wie kann man das reduzieren?
Auf jeden Fall mit einer besseren Planung und einem Konzept, mit dem man flexibler auf die Anforderungen reagieren kann. Dazu ist es aber auch wichtig, dass man die eigene Angebotsstruktur grundlegend überdenkt – immer mit dem Hintergedanken, wo besonders viele Lebensmittel verschwendet werden und wie man das ändern kann. Das könnte dann eine kleinere Karte sein oder eine neue Kombination von Produkten, die Verschwendung vermeidet. Wichtig ist dabei aber, dass man mit den Gästen darüber spricht und sie für das Thema sensibilisiert. Wenn man es positiv verpackt, kann das auch ein Marketinginstrument sein.
Warum ist eine Reduzierung der Lebensmittelabfälle so wichtig?
Für mich hat das Thema drei Aspekte: Einen ethischen Aspekt, weil wir aufwendig und mit viel Mühe produzierte Lebensmittel wegwerfen und damit wertvolle Ressourcen nicht sinnvoll verwenden. Anderorts haben Menschen diese Möglichkeiten nicht. Zum anderen der ökologische Aspekt, weil wir durch weniger Verschwendung weniger Lebensmittel produzieren und transportieren müssten – mit allen positiven Auswirkungen auf die Umwelt. Und schließlich ist es ein ökonomischer Aspekt, weil wir anstelle von Lebensmitteln auch gleich das Geld wegwerfen könnten. Alle drei Aspekte sind übrigens wichtige Bausteine der Nachhaltigkeit.
Das zweite Thema in der Branche sind die Verpackungsabfälle. Wie ist hier die Situation?
Sicherlich kaufen viele Unternehmer in Hotellerie und Gastronomie heute bereits in Großgebinden ein. Das ist schon viel besser, weil es den Verpackungsabfall reduziert. Aber wenn ich mir das eine oder andere Frühstücksbuffet anschaue, spüre ich, dass manche Betriebe das Thema Abfallvermeidung noch nicht zu Ende gedacht haben. Auch hier es oftmals eine Frage der fehlenden Planung und des fehlenden Grundverständnisses.
Was kann jeder Unternehmer verbessern? Welche Maßnahmen sind sinnvoll?
Ich glaube, dass jeder Unternehmer, wenn er seinen Betrieb strukturiert und konzentriert auf den Prüfstand stellt, die Abfallmenge reduzieren kann. Es gibt bereits in vielen Bereichen Monos- und wiederverwendbare Systeme für den Transport von Produkten. Oder beispielsweise muss nicht jeder Strohhalm noch einmal zusätzlich in einer Plastikfolie verpackt sein. Vielleicht will der Gast gar keinen Strohhalm zu seinem Cocktail… Es gibt so viele Ansatzpunkte, die jeder umsetzen kann und die man den Gästen gegenüber nur richtig kommunizieren muss.
Ganz ohne Abfall geht es aber nicht. Deshalb: Vermeidung oder Recycling? Wie sieht die richtige Entsorgung aus?
Wir haben in Deutschland eine fünfstufige Hierarchie der Abfallwirtschaft. Ganz oben stehen dabei Vermeiden und Wiederverwenden. Erst dann wird recycelt. Und wenn das nicht mehr möglich ist, dann wird energetisch verwertet oder der Abfall thermisch behandelt. Jeder Unternehmer sollte seine eigene Abfallwirtschaft an dieser Hierarchie orientieren – und auch Mitarbeiter sowie Gäste dafür sensibilisieren. Richtig: es wird nicht ganz ohne Restabfall gehen. Aber Unternehmer, die sich damit beschäftigen, beweisen ja immer wieder, dass es geht.
Aktuell diskutiert die EU über ein Verbot von Plastikbesteck und Plastikstrohhalmen. Eine richtige Initiative?
Es schlagen bei diesem Thema zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits brauchen wir offensichtlich Gesetze und Regelungen, damit die Menschen bestimmte Regeln, die wir für gut und richtig halten, einhalten. Andererseits ändern solche Regulierungen nichts am Bewusstsein der Menschen. Denn der Strohhalm springt nicht von alleine ins Meer oder liegt in der Wiese. Das liegt schon an den Menschen selbst und ihrem Umgang mit Ressourcen und der Umwelt.
Geht Umweltschutz nur über Verbote?
Die aktuellen Planungen sind sicherlich zu einem Großteil Aktionismus, ein Verbot ist nicht die Lösung. Es ist aber ein guter Anlass für eine Diskussion über das Thema und wird den einen oder anderen – egal ob Unternehmer, Mitarbeiter oder Gast – zum Nachdenken bringen. Bei Gesetzen stellt sich mir aber immer die Frage der Kontrolle und der Durchsetzung – und das sehe ich hier nicht flächendeckend gewährleistet.
Kann nachhaltiges Wirtschaften aus Ihrer Sicht ein Marketinginstrument sein?
Auf jeden Fall. Allerdings muss man es auch gut verkaufen. Wenn ein Betrieb heute seinen Gästen gegenüber kommuniziert, dass man sich über das Thema Abfall und Nachhaltigkeit Gedanken macht, kommt das mit Sicherheit gut an – vor allem, wenn man es macht, weil man will und nicht, weil man muss. Wer es schafft, dabei authentisch zu sein und vielleicht sogar seine Gäste mit ins Boot zu holen, kann damit einen Mehrwert für die Gäste schaffen und bei den Kosten ganz anders agieren.
Dabei geht es gar nicht um die ganz großen Nachhaltigkeitsprojekte. Auch kleine Schritte führen zum Ziel. Man könnte ja beispielsweise gemeinsam mit dem Team ein Monatsmotto daraus machen und den Gästen kommunizieren, mit welchem Umweltaspekt man sich in diesem Monat ganz besonders auseinandersetzt. Und wenn die Gäste dann gefragt werden, ob sie wirklich einen Strohhalm haben wollen, anstatt ihn automatisch serviert zu bekommen, spart man sicherlich nicht nur Strohhalme ein, sondern hat auch einen wunderbaren Gesprächsanlass, um mit den Gästen über Abfallvermeidung und Nachhaltigkeit zu reden.