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Gastronom erhält über 1 Million Euro aus Betriebsschließungsversicherung

Das Landgericht München I fällte vor wenigen Tagen ein viel beachtetes Urteil zur Betriebsschließungsversicherung. Eine Versicherung muss einem Gastronomen 1.014.000 EUR zahlen. Rechtsanwalt Dr. Burkhard Tamm ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und er erläutert die juristischen Hintergründe. Nach seiner fachlichen Meinung werden sich viele Versicherungsnehmer auf diese Entscheidung stützen können.
geralt | Pixabay

Seit dem 01.10.2020 liegt nun eine weitere Entscheidung zur Betriebsschließungsversicherung (BSV) vor. Das Landgericht München I verurteilte den beklagten Versicherer zur Zahlung von 1.014.000 € an den betroffenen Gastwirt. Trotz vorhandener Besonderheiten sind dem Urteil einige wesentliche Aussagen zu entnehmen, die für die wohl häufigsten Vertragsgestaltungen in diesem Bereich bedeutsam sind. Hierauf soll nachfolgend eingegangen werden.

Sachverhalt

Im zu entscheidenden Fall hatte der Kläger auf die Empfehlung eines Beraters des beklagten Versicherers Anfang März 2020 eine BSV abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Gerichts wurde dem Kläger der Abschluss dieser Versicherung gerade im Hinblick auf die Corona-Pandemie empfohlen. Gegenstand des Vermittlungsgesprächs war auch eine Vertriebsmitteilung des Versicherers, aus der hervorging, dass die BSV auch im Hinblick auf das Corona-Virus Schutz bietet.

In den Versicherungsbedingungen war bestimmt, dass der Versicherung Entschädigung leistet, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb schließt, wobei in dieser Klausel Bezug genommen wird auf einen in der Folgeklausel enthaltenen Katalog. Der streitgegenständliche Vertrag formulierte – wie wohl in den meisten Bedingungswerken – dass Versicherungsschutz „für die folgenden der in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten und Erreger“ besteht, wobei die Fassung des Gesetzes vom 20.07.2000 zugrundegelegt wurde. Es folgte sodann eine lange Liste von Krankheiten und Krankheitserreger, die vom Versicherungsschutz umfasst sein sollten. Eine Übereinstimmung dieses Katalogs mit dem IfSG in der aktuellen Fassung oder der Fassung des Gesetzes vom 20.07.2000 lag nicht vor.

Was das LG München entschieden hat

Das Gericht stellt einleitend zunächst dar, wie allgemeine Versicherungsbedingungen nach ständiger Rechtsprechung auszulegen sind, nämlich entsprechend den Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse. Auf dieser Grundlage ergibt sich nach Ansicht des Gerichts für die Auslegung der von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen folgendes:

Die nach den Bedingungen erforderliche Schließung durch die zuständige Behörde war gegeben. Auf die Frage, in welcher Rechtsform die Anordnung der Schließung erfolgte – beispielsweise durch Allgemeinverfügung oder Verordnung – kommt es nicht an, sondern lediglich darauf, dass rein tatsächlich eine Schließung angeordnet wurde.

Auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Anordnung kommt es nach dem Wortlaut der Bedingungen nicht an. Auch sei es dem Versicherungsnehmer im Regelfall nicht zumutbar, vor der Geltendmachung von Versicherungsleistungen zum Zwecke der Schadensminderung vor den Verwaltungsgerichten gegen eine behördliche Anordnung vorzugehen.

Nach dem Wortlaut der Bedingungen ist nicht erforderlich, dass der Betrieb selbst von einem Infektionsgeschehen betroffen sein muss.

Grundsätzlich muss der durchschnittliche Versicherungsnehmer den Wortlaut der maßgeblichen Versicherungsbedingungen so verstehen, dass die vollständige Schließung des Betriebes angeordnet werden muss. Sei dies nicht der Fall gewesen, so würden Ansprüche aus der BSV grundsätzlich ausscheiden. Doch wie bereits das LG Mannheim in der Entscheidung vom 29.04.2020 (Az. 11 O 66/20) so ist auch das LG München I der Ansicht, dass eine faktische Schließung ausreicht, um Ansprüche zu begründen. Hierzu ist erforderlich, dass der Weiterbetrieb unter den noch zulässigen Umständen unzumutbar ist, was eine Frage des Einzelfalls sei. Im zugrundliegenden Fall wäre dem Kläger noch ein Außerhausverkauf möglich gewesen, der in den üblichen Zeiten jedoch nur 0,1 % des Gesamtumsatzes ausmachte, so dass das Gericht von einer faktischen Vollschließung ausgeht.

Die interessantesten Feststellungen enthält das Urteil im Hinblick auf die Frage, ob COVID-19 bzw. SarsCov2 vom Versicherungsschutz erfasst werden, denn darauf, dass der Vertrag hier gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie empfohlen und geschlossen wurde, und der Versicherer insoweit sogar über eine Vertriebsmitteilung Versicherungsschutz zugesagt hatte, stellt das Gericht letztlich gar nicht ab.

Das Gericht gelangt vielmehr vor allem zu der Ansicht, dass die Klausel, in der von Versicherungsschutz „für die folgenden“ Krankheiten und Erreger die Rede ist, intransparent und damit nach § 307 Abs. 1, Satz 1 BGB unwirksam ist. Das Gericht begründet seine Ansicht u.a. mit der „erschlagenden“ Länge des in der Klausel genannten Katalogs an Krankheiten und Erregern. Diese suggeriere dem Versicherungsnehmer, er kaufe sich einen lückenlosen Versicherungsschutz ein.

Darüber hinaus entsprach der in der Klausel genannte Katalog inhaltlich nicht den im IfSG genannten Katalogen, weder in der aktuellen, noch in der Fassung vom 20.07.2000. Der Versicherungsnehmer sei aber nicht verpflichtet, die in den Versicherungsbedingungen enthaltenen Kataloge mit den Katalogen des IfSG abzugleichen, um zu ermitteln, welchen Umfang der angebotene Versicherungsschutz tatsächlich hat. Nach ständiger Rechtsprechung gelte, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht mit Lücken im Versicherungsschutz rechnen müsse, sofern ihm dies nicht hinreichend verdeutlicht werde.

Den im Vertrag formulierten Ausschluss der Haftung des Versicherers „für andere“ Krankheiten und Erreger bewertet das Gericht im Ergebnis ebenfalls als intransparent, auch wenn dies so nicht explizit formuliert wird.

Denn das Gericht führt u.a. aus, es mache bereits keinen Sinn, dass die Beklagte behaupte, bei dem in den Bedingungen genannten Katalog handele es sich um einen abgeschlossenen, statischen Katalog, wenn zugleich in einer Ausschlussklausel Krankheiten genannt werden, die in diesem Katalog keine Erwähnung finden. Letztlich sei es so, dass für den Versicherungsnehmer die wirtschaftlichen Belastungen und Nachteile, die die genannten Klauseln mit sich bringen, für ihn nicht einmal im Ansatz erkennbar seien.

Fazit

Das Urteil des LG München befasst sich mit einem Klauselwerk, das so oder in sehr ähnlicher Form in einer Vielzahl von Verträgen Verwendung findet. Damit werden sich viele Versicherungsnehmer auf diese Entscheidung stützen können, wobei einschränkend darauf hinzuweisen ist, dass es sich nicht um eine obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidung handelt. Andere Gerichte können somit anders entscheiden. Die Argumente des Gerichts erscheinen mir aber stichhaltig, so dass ich annehme, dass diese Entscheidung geeignet ist, den Weg auch in anderen gleich oder sehr ähnlich gelagerten Fällen vorzuzeichnen. Trotz Unwirksamkeit der „Katalogklausel“ blieb der Vertrag im Übrigen gem. § 306 Abs. 1 BGB wirksam. Anspruchsvoraussetzung für Leistungen aus der BSV war somit nur noch, dass der Betrieb von der zuständigen Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger geschlossen wurde.

Zum Autor

Rechtsanwalt Dr. Burkhard Tamm ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Medizinrecht mit Sitz in Würzburg und bundesweit tätig.

Website: www.tamm-law.de

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