Hintergrund zu coronabedingten Betriebsschließungen
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie gab es immer wieder hoheitlich angeordnete Betriebsschließungen. Ziel der Politik war es, damit die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Für gewerbliche Mieter:innen oder Pächter:innen bedeuten die staatlich angeordneten und coronabedingten Betriebsschließungen allerdings erhebliche Umsatzeinbußen. Gleichzeitig mussten sie weiter die gewerbliche Miete bzw. Pacht zahlen. Viele fragten sich deshalb, ob sie verpflichtet sind, die volle Ladenmiete zu zahlen oder zumindest Anspruch auf eine Minderung haben.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs
Der für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Urteil vom 12. Januar entschieden, dass gewerbliche Mieter:innen ihre Gewerbemiete grundsätzlich wegen coronabedingter Geschäftsschließungen anpassen dürfen. Voraussetzung ist, dass die Geschäftsschließung aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt. Grundlage dafür, dass Mieter:innen die Mietzahlungen reduzieren können, ist laut Gericht eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ gemäß § 313 Abs. 1 BGB.
Vorinstanzlich noch pauschal die hälftige Mietreduzierung als angemessen erachtet
Im zu entscheidenden Fall verlangte die Vermieterin von der Mieterin die vollständige Zahlung der Monatsmiete für April 2020. Die gemieteten Räumlichkeiten wurden von der Mieterin zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs genutzt. Aufgrund der sich im März 2020 in Deutschland verbreitenden COVID-19-Pandemie erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt am 18. März und am 20 März 2020 Allgemeinverfügungen.
Wegen dieser Verfügungen konnte die Mieterin ihr Geschäft im Mietobjekt vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen. Das Landgericht Chemnitz (Az.: 4 O 639/20) hat die Mieterin zunächst zur Zahlung der vollen Miete für den Monat April 2020 in Höhe von 7.854,00 € am 26.04.20 verurteilt. Auf die Berufung der Mieterin hat das Oberlandesgericht Dresden (Az.: 5 U 1782/20) mit Urteil vom 24. Februar 2021 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Mieterin – unter Abweisung der Klage im Übrigen – zur Zahlung von nur 3.720,09 € verurteilt.
Infolge des Auftretens der COVID-19-Pandemie und der staatlichen Schließungsanordnung auf Grundlage der Allgemeinverfügungen sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten. Deshalb dürfte der Vertrag angepasst werden. Konkret: Reduzierung der Kaltmiete um die Hälfte für die Dauer der angeordneten Schließung.
Anpassung der Gewerbemiete/-pacht wegen hoheitlicher Corona-Maßnahmen möglich
Auf die Revisionen der Vermieterin hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Denn die Vermieterin verlangte nach wie vor die volle Miete. Die Mieterin hingegen war der Meinung, keine Miete für den Schließungsmonat zahlen zu müssen. Sie verfolgte deshalb ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.
Der Bundesgerichtshof hat ferner entschieden, dass die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts (insb. § 313 BGB) auch nicht durch die für die Zeit vom 01. April 2020 bis zum 30. September 2022 geltende Vorschrift des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen ist. Grund dafür ist, dass diese nach ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrem Gesetzeszweck nichts zur Höhe der geschuldeten Miete aussagt und nur eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters bezweckt.
Keine Mietminderung wegen eines Mangels im Sinne des § 536 Abs.1 S. 1 BGB
Der Bundesgerichtshof bestätigte hierbei die vorinstanzlichen Feststellungen zur Ablehnung eines Anspruchs auf Mietminderung. Die hoheitlich angeordnete Betriebsschließung führe nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Insofern würde die so bewirkte Gebrauchsbeschränkung keinen Zusammenhang mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts aufweisen.
Vielmehr knüpfte diese maßgeblich auf die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an. Dieser Publikumsverkehr begünstigt die Gefahr einer verstärkten Verbreitung der Pandemie, dem im Sinne des Infektionsschutzes entgegengewirkt werden sollte. Grundsätzlich würden die Mieträumlichkeiten der Mieterin auch trotz der angeordneten Betriebsschließung zu dem vertraglich vereinbarten Zweck weiterhin zur Verfügung stehen. In diesem Fall zur „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“.
Anpassung aufgrund Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB
Mieter:innen von gewerblich genutzten Räumen könnte jedoch im Fall einer hoheitlich angeordneten Geschäftsschließung zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen. Dabei sieht der Bundesgerichtshof die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern. Außerdem, dass die Sozialexistenz nicht erschüttert wird. Aufgrund der hoheitlich angeordneten Geschäftsschließung sei demnach diese Erwartung der Parteien so schwerwiegend gestört, sodass die tatsächliche Voraussetzung des § 313 Abs. 1 Satz 1 BGB damit erfüllt sei.
Keine Vertragsanpassung ohne „Unzumutbarkeit“ nach § 313 Abs. 1 BGB
Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB berechtigt Mieter:innen jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlange die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass Mieter:innen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung von Mieter:innen wie im vorliegenden Fall auf einer zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie hoheitlich angeordneten Geschäftsschließung, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile gewerblicher Mieter:innen beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder enttäuschten Vorstellungen, in den gemieteten Räumlichkeiten einen bestimmten Gewinn zu erzielen. Sie sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben. Dafür kann keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden. Deshalb kann auch das damit verbundene Risiko regelmäßig nicht einer Mietvertragspartei allein zugewiesen werden.
Mietanpassungen sind Einzelfallentscheidungen
Ob ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag letztendlich unzumutbar ist und Mieter:innen eine Mietanpassung für den Schließungszeitraum verlangen können, kann jedoch erst im Wege einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, festgestellt werden. Eine pauschale Betrachtungsweise wird den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht, wobei ebenso wenig ohne eine umfassende Einzelfallprüfung insoweit eine Vertragsanpassung zu bejahen ist, als dass der Mieter stets nur die Hälfte der Miete zu zahlen hat. Es bedarf einer umfassenden Abwägung der Nachteile, die dem Mieter oder der Mieterin durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Dabei muss berücksichtigt werden, ob und welche Maßnahmen Mietende ergriffen haben oder konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. Schließlich müssten bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen der Vermietenden nicht außer Acht gelassen werden.
Finanzielle Vorteile aus staatlichen Leistungen sind zu berücksichtigen
Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, seien bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die Mieter:innen aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt haben. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter oder die Mieterin durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreichen, wobei eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Mietenden nicht erforderlich sei.
Unsere Einschätzung
Die in der Entscheidung getroffenen Feststellungen aus dem gewerblichen Mietrecht sind auf die Pachtverhältnisse entsprechend anwendbar und damit auch für die Gastronomie und Hotelgewerbe von hoher Relevanz. Auch wenn gewerblichen Mieter- bzw. Pächter:innen zurzeit von staatlich angeordneten pandemiebedingten Ladenschließungen nicht mehr betroffen sein dürften, bleibt das Problem aktuell. In vielen Fällen laufen Verhandlungen oder streitige Verfahren zwischen den Vertragsparteien. Es geht um bisher nicht abgeschlossene Fälle während des Lockdowns. Und dabei immer um eine tatsächliche oder angezeigte Reduzierung der gewerblichen Miete oder Pacht.
Wegen der höchstrichterlicher Bestätigung der Rechtslage ergibt sich nun eine belastbare Argumentationsgrundlage.
Mieter- bzw. Pächter:innen können sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gegenüber ihren Vermieter- bzw. Verpächter:innen berufen und eine entsprechende Anpassung der Miete oder Pacht verlangen.
Wir empfehlen, sich mit dem Thema Miet-/Pachtminderungen bei Betriebsschließung wegen Corona im Gast- und Hotelgewerbe weiterhin zu beschäftigen.