In einer Entscheidung vom 9. Juli 2020 (Geschäftsnummer: 8 O 2/20) hat das Landgericht Hannover Ansprüche eines Gastronomen auf Entschädigung wegen coronabedingter Verdienstausfälle abgewiesen. Betroffene Gastronomen und Hoteliers sollten sich von dieser Entscheidung nicht entmutigen lassen. Es steht zu erwarten, dass Landgerichte mit entsprechenden Klagen wahrscheinlich auch in näherer Zukunft außerordentlich zurückhaltend umgehen werden; auf Dauer ist die Rechtsposition, die das Landgericht Hannover eingenommen hat, allerdings nicht haltbar.
Das Deutsche Hotel- und Gaststättengewerbe ist eine der Branchen, die vom Lockdown mit am stärksten betroffen gewesen ist. Laut Erhebungen des Bundesverbandes DEHOGA belief sich der Umsatzeinbruch in der Branche bis April 2020 auf 76 % (verglichen mit dem Vorjahresniveau). Die Hotel- und Gaststättenbetreiber haben sich in der Pandemie solidarisch mit der Bevölkerung gezeigt. Allerdings hat die Branche früh zu erkennen gegeben, dass Solidarität „keine Einbahnstraße“ sein kann. In vielen Ladenlokalen hingen Aufrufe dazu aus, dass der Branche aktuell der wirtschaftliche Ruin droht und deswegen nach dem Lockdown die Solidarität der Gesellschaft eingefordert wird.
Die Entscheidung das Landgerichts Hannover scheint nun in die Richtung zu weisen, dass diese gesellschaftliche Solidarität möglicherweise nicht einklagbar ist – und das Hotel- und Gaststättengewerbe sich mit den freiwilligen staatlichen Hilfen (unter anderem einer völlig unzureichenden Mehrwertsteuersenkung) begnügen muss.
Landgericht Hannover: kein Entschädigungsanspruch aus dem Infektionsschutzgesetz
Der Inhalt der Entscheidung: Ein Gastwirt hatte aufgrund der verordneten Betriebsschließung bis zum 10. Mai 2020 einen Schaden in Höhe von insgesamt rund EUR 52.000,00 eingeklagt. Das Landgericht kam zum Ergebnis, dass für einen entsprechenden Entschädigungsanspruch das Infektionsschutzgesetz des Bundes keine Anspruchsgrundlage enthalten würde und auch der allgemeine Anspruch aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs nicht zutreffen würde. Das Landgericht hat zwar eingeräumt, dass aufgrund der Rechtsverordnung ein Eingriff in eigentumsrechtlich geschützte Güter des Gastronomen stattgefunden hätte. Allerdings sei dieser Eingriff rechtmäßig gewesen und ein sogenanntes „Sonderopfer“ im Vergleich zu anderen betroffenen Betrieben sei im Ergebnis nicht erkennbar. Der Anspruch setze nach Auffassung des Gerichts voraus, dass tatsächlich ein besonders schweres individuelles Sonderopfer vorliege, das sich im Ergebnis von der Betroffenheit der Branche insgesamt deutlich abheben müsse.
Kernfrage: was ist mit dem Begriff „Sonderopfer“ gemeint?
Juristisch werden sich auch in Zukunft entsprechende Rechtsstreitigkeiten im Wesentlichen um den Begriff des sogenannten „Sonderopfers“ drehen. Im Kern geht es darum, dass aufgrund der Coronaschutzmaßnahmen zwar keine gezielte förmliche Enteignung betroffener Betriebe vorliegt – die Betriebe allerdings faktisch so stark betroffen sind, dass die Schwere dieser Folgen einer Enteignung gleichkommt. Eine wesentliche Rolle wird spielen, ob Gerichte zukünftig die Coronaschutzmaßnahmen als rechtswidrig oder rechtmäßig einstufen. Es gibt eine breite Meinung, die davon ausgeht, dass die Coronaschutzmaßnahmen, zumindest was die Schließung von Betrieben anbelangt, in der Vergangenheit unverhältnismäßig gewesen sind. Für den Fall, dass sich in einigen Jahren Oberlandesgerichte oder auch der Bundesgerichtshof dieser Rechtsauffassung anschließt, bestehen ohne weiteres Ansprüche betroffener Gastronomiebetriebe; denn rechtswidrige Eingriffe in den durch Art. 14 GG (Eigentumsgrundrecht) geschützten Bereich müssen nicht entschädigungslos geduldet werden.
Aber auch dann, wenn die Rechtsprechung bei der jetzigen Linie bleibt, und von der Rechtmäßigkeit der allermeisten Maßnahmen ausgeht, bestehen potenziell Entschädigungsansprüche. Diese Ansprüche bestehen dann, wenn die rechtmäßige Maßnahme sich in den faktischen Auswirkungen für einen betroffenen Betrieb als sogenanntes „Sonderopfer“ darstellt.
In der Vergangenheit ist der Begriff des „Sonderopfers“ tatsächlich einerseits im Verhältnis zu anderen Betrieben aber auch im Verhältnis zum geschützten Rechtsgut betrachtet worden. Man muss sich allerdings vor Augen halten, dass die Pandemie, die Deutschland seit Februar 2020 trifft, historisch ohne Vorbild ist und seit dem 2. Weltkrieg den mit Abstand stärksten Eingriff durch staatliche Maßnahmen in die Wirtschaft ausgelöst hat. In den letzten 50 Jahren betrafen Staatshaftungssachverhalte tatsächlich jeweils Einzelsachverhalte – dass gesamte Branchen und teilweise die gesamte Volkswirtschaft von entsprechenden tief greifenden staatlichen Eingriffen betroffen sein könnte, war bis Februar dieses Jahres außerhalb des Vorstellungsvermögens.
Autoren: Rechtsanwalt Stefan Fenzel, Leipzig, sowie Rechtsanwalt Harald Nickel, Hanau