Hunderttausendfach wurden Unternehmer und Selbstständige in den letzten Wochen davon abgehalten, ihren Beruf auszuüben. Betriebe mussten wegen staatlicher Corona-Anordnungen ganz oder partiell schließen. Die Folge: Massive Umsatzeinbrüche und überproportionale Kosten. Hohe Verluste verbleiben selbst dann, wenn der Betrieb wieder aufgenommen werden kann. Die Frage, wie mit derartigen Verlusten umzugehen ist, wird von Bund, Ländern und Behörden ebenso eindeutig, wie für die Betroffenen existenzgefährdend beantwortet. Zumindest bislang gilt: Für Vermögensschäden wegen Tätigkeitsuntersagungen gegenüber Unternehmern oder Selbstständigen gibt es keinerlei Entschädigungen. So die gängige Rechtsauffassung. Dem widerspricht nun erstmals ein kürzlich veröffentlichtes, wissenschaftlich fundiertes Gutachten, das von Rechtsanwalt Harald Nickel, Nickel Rechtsanwälte Partnergesellschaft, Hanau, vorgelegt wurde.
Wie lautet das Ergebnis des Gutachtens?
Bund, Länder und Behörden vertreten einhellig die These, dass es für Vermögensschäden wegen Tätigkeitsuntersagungen gegenüber Unternehmern oder Selbstständigen keinerlei gesetzliche Entschädigungsansprüche gibt. Angeblich soll das Infektionsschutzgesetz (IfSG), auf welches Betriebsschließungen und Betriebsbehinderungen durch allgemeine Verbotsverfügungen gestützt werden, alle Ansprüche ausschließen, die nicht ausdrücklich im Gesetz genannt sind. Das von Rechtsanwalt Harald Nickel vorgelegte Rechtsgutachten kommt zu einem grundlegend anderen Schluss. Mehr und mehr namhafte Juristen schließen sich an. Das geltende Infektionsschutzgesetz (IfSG) halte, anders als bisher behauptet, umfassende Entschädigungsansprüche von „Sonderopfern“ staatlicher Maßnahmen direkt oder in analoger Anwendung sogar selbst bereit. Jedenfalls schließe es für andere Fälle von Gefahrenabwehr allseits anerkannte umfassende Entschädigungsansprüche nicht aus. Anders ausgedrückt: Gutachterlich wird nachgewiesen, dass Bestimmungen des bestehenden IfSG auch auf Vermögensschäden anzuwenden sind, die im Rahmen verordneter Corona-Betriebsschließungen und -Tätigkeitsverboten Unternehmen, Unternehmern und Selbstständigen durch unmittelbar gegen sie gerichtete Verbote und Gebote entstanden sind, obwohl von ihnen keine unmittelbare Infektionsgefahr ausgegangen ist.
Schadensersatzsprüche können geltend gemacht werden
Darüber hinaus und wichtiger noch zeigt das Gutachten auf, dass die sogenannte Schadensausgleichspflicht, wie sie grundsätzlich bei staatlichen Beschränkungen einzelner Sonderopfer im Allgemeininteresse in den jeweiligen Polizei- und Ordnungsgesetzen der Bundesländer vorgeschrieben ist, auch für Vermögensschäden durch Tätigkeits- und Betriebsuntersagungen bzw. entsprechende Beschränkungen nach dem Infektionsschutzgesetz gilt. Es gibt also gleich mehrere, aus rechtswissenschaftlicher Sicht stichhaltige Argumente, warum Unternehmen, die Corona-bedingte Betriebsschließungen hinzunehmen hatten, Schadensersatzansprüche geltend machen können.
Ja, ich möchte mehr zu den Entschädigungsansprüchen erfahren:
Welche Bedeutung hat das Gutachten für Hoteliers und Gastronomen?
Hoteliers und Gastronomen sind keine Bittsteller. Sie haben Ansprüche. Sie sollten daher aus der Rolle des Bittstellers in die des Anspruchstellers wechseln. Ansprüche realisiert nur, wer sie geltend macht. Das Gutachten und die sich nun nach und nach anschließenden Stimmen sind ein starkes Signal an alle Selbstständigen und Unternehmen, die bedingt durch die Umsetzung der staatlichen Corona-Maßnahmen massive Vermögensschäden hinzunehmen hatten und haben, ihre Ansprüche auf einen angemessenen Schadensersatz nun geltend zu machen.
Unter welchen Voraussetzungen besteht der Anspruch auf staatliche Entschädigung?
Diejenigen, die „Sonderopfer“ sind, weil ihre Betriebe im Interesse der Allgemeinheit geschlossen wurden, ohne dass von ihnen eine unmittelbare Infektionsgefahr ausgeht, haben nach der Überzeugung von Rechtsanwalt Nickel einen Anspruch auf Entschädigung. Dies gilt jedoch nicht für Unternehmen, die ihre Betriebe nur aufgrund Empfehlung einer staatlichen Stelle oder von Berufsverbänden geschlossen haben. Auch nicht für solche, die durch die Beschränkung dritter Unternehmen und Veranstalter Geschäft verlieren, etwa Caterer oder Messebauer, die wegen des Ausfalls von Veranstaltungen schlicht keine Aufträge erhalten.
Welche Fristen zu sind berücksichtigen?
Unmittelbar im Infektionsschutzgesetz geregelte Schadensausgleichspflichten müssen innerhalb von einem Jahr nach Ende der Maßnahme (in Bayern ein Jahr seit Beginn der Maßnahme) bei der zuständigen Behörde angemeldet werden. Soweit bisher von drei Monaten die Rede war, ist die einschlägige gesetzliche Regelung am 23.5.2020 geändert worden. Daher empfiehlt Rechtsanwalt Harald Nickel entsprechend, auch die nicht sich aus dem Gesetz ergebenden Ansprüche hinreichend begründet innerhalb dieser Fristen an der richtigen Stelle geltend zu machen. Bei mehreren unterschiedlichen Maßnahmen ist das zu wiederholen. Das gilt auch für Maßnahmen unterschiedlicher Stellen, etwa von Kommunen einerseits und der Länder andererseits. Ebenso für den Fall, wenn Betriebe, die ganz schließen mussten, nachfolgend unter restriktiven Auflagen den Betrieb wieder aufnehmen durften. Eine Versäumung jener Fristen muss nicht, kann aber theoretisch gegen Ansprüche auf umfassenden Ersatz von Vermögensschäden entgegengehalten werden. Da dies juristisch nicht geklärt ist, sollte man vorsichtshalber eher früher als später vorgehen.
Gegen wen richtet sich der Anspruch auf staatliche Entschädigung?
Grundsätzlich gilt, dass diejenige staatliche Stelle zu entschädigen hat, die durch Versagung und Anordnungen die sogenannten „Sonderopfer“ im Interesse der Allgemeinheit in Anspruch genommen hat. Unter Umständen sollten diese Ansprüche bei mehreren verfügenden Stellen innerhalb der kurzen Fristen des Infektionsschutzgesetzes in geeigneter Form hinterlegt werden. In einzelnen Fällen gab es sich überlappende Verfügungen, die gegebenenfalls mehrere gesonderte Ansprüche auslösen und entsprechend gesonderte Geltendmachungen erfordern. Dies muss im Einzelfall geprüft werden.
Was ist unter einem Vermögensschaden zu verstehen?
Unter Vermögensschaden versteht man die durch Verbote und Gebote verursachten wirtschaftlichen Einbußen, etwa Umsatzeinbußen und gegebenenfalls zusätzliche Kosten, abzüglich ersparter Aufwendungen. Der Berechnung der Höhe der Entschädigung werden geläufige Kriterien der Schadensberechnung zugrunde gelegt werden. Im Zweifelsfall hat der Richter auf der Grundlage aufbereiteter Sachverhalte die Möglichkeit der Schadensschätzung, wo eine Schadenskalkulation auf Euro und Cent nicht möglich ist.
Wie lange wird die gerichtliche Klärung der Ansprüche dauern?
Das hängt davon ab, ob der Staat tatsächlich längere Zeit daran festhält, von ihm im Interesse des Allgemeinwohls von Verboten und Geboten betroffenen Sonderopfern Entschädigungen zu versagen. Umso wichtiger ist es, einerseits Ansprüche geltend zu machen und andererseits auch politisch zu fordern, dass die Schäden von Sonderopfern fair auf alle Schultern unseres Gemeinwesens verteilt werden.
Welche Kosten entstehen, wenn Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden sollen?
Ist eine juristische Begleitung erwünscht, fallen grundsätzlich Kosten an, soweit Rechtsschutzversichrungen nicht zur Verfügung stehen. Das ist im Verhältnis hinzugezogener Rechtsanwälte eine Frage von Einzelfall und Vereinbarung. Rechtsanwalt Harald Nickel bietet sowohl in Bezug auf Entschädigungsansprüche gegen den Staat als auch in Fällen zu Unrecht von Versicherern bestrittener Ansprüche aus Betriebsschließungsversicherungen eine kostenfreie Ersteinschätzung an.
Ja, ich möchte mehr zu den Entschädigungsansprüchen erfahren:
Das Gutachten „Entschädigung für Vermögensschäden aufgrund Betriebsbeschränkungen/-schließungen infolge Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), stellvertretend am Beispiel Hessen“ wurde vom Fachärzteverband Integrative Versorgung e.V. (FIV) , Seligenstadt/Hessen, – vormals LAOH Verband von operativ und anästhesiologisch tätigen niedergelassenen Fachärzten – Mitte März 2020 in Auftrag gegeben.
Harald Nickel, Nickel Rechtsanwälte Partnergesellschaft Hanau, ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Lehrbeauftragter für europäisches Vergaberecht. Er agiert als Syndikus- bzw. Vertragsanwalt bedeutender Unternehmen und Verbände sowie als ständiger rechtlicher Berater und Vertreter mehrerer deutscher Städte und Gemeinden. Das Gutachten wurde in Kooperation mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger, Wiesbaden, verfasst.