Egon Bär (Name geändert) läuft jetzt noch an rot an, wenn er sich an den letzten Besuch des Steuerprüfers erinnert. Ordnungsgemäß, so berichtet der Gastronom, habe er alle Tagesabschlüsse – auch Z-Abschlag genannt – durchgeführt und sauber abgeheftet. In den Ordner hat der Prüfer allerdings noch nicht einmal geschaut. „Das stimmt doch sowieso alles nicht“, waren die Worte, die Bär bis heute nicht aus dem Kopf gehen und seinen Blutdruck steigen lassen. Stattdessen hat der Prüfer seine angeblich auf Durchschnittswerten basierenden Statistiken herangezogen, Einkaufsmengen mit diesen Werten verglichen, Umsätze hochgerechnet und dem Unternehmer dann eine saftige Steuernachzahlung präsentiert.
Kein Einzelfall, wie Sascha König, Vorsitzender des Bundesausschusses für Steuern im DEHOGA, berichtet, auch wenn das Vorgehen der Prüfer nicht immer so forsch und offensichtlich rechtswidrig ist wie im beschriebenen Fall. Auch dem Rechtsanwalt und Steuerberater ist eine Vielzahl von Fällen aus seiner täglichen Praxis bekannt, in denen manch ein Prüfer kleine und kleinste Verstöße gegen die formellen Ordnungsvorschriften zum Anlass nimmt, die Buchführung zu verwerfen und die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Gemeint sind hierbei selbstverständlich nicht diejenigen Fälle, in denen die Finanzbehörde tatsächlich eine Steuerhinterziehung festgestellt, Schwarzgelder oder sonstige ungeklärte Vermögensgegenstände aufgedeckt hat. Die Rede ist vielmehr von denjenigen Fällen, in denen die Außenprüfung versucht, sich durch die Beanstandung formeller Unzulänglichkeiten der Buchführung den Weg zur Schätzung zu ebnen.
Der Weg, so der Steuerexperte weiter, sei hierbei immer der gleiche: Der Prüfer versucht zunächst, die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, insbesondere der Kassenbuchführung, zu erschüttern. Denn: Gelänge ihm dies, würde der Prüfer die „Buchführung verwerfen“, ihr also die Beweiskraft für die Besteuerung versagen. Und dies ist fast schon regelmäßig der Fall, weil die formellen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Buchführung in einem bargeldintensiven Betrieb derart hoch sind, dass sie kein Betrieb ohne größte Anstrengungen einhalten kann. Damit sei jedoch noch nicht die Tür zur Schätzung geöffnet, wie König ausführt.
Denn formelle Mängel allein, so sie denn nicht extrem gravierend sind, begründen noch keine Schätzungsbefugnis. Dies ist zwar den meisten, wenn auch nicht allen Prüfern bekannt, aber sich deshalb in Sicherheit zu wiegen, sei ein Trugschluss. Denn die Prüfer würden in der Regel parallel zu der Suche nach den formellen Fehlern eine Nachkalkulation der vom Gastronomen erklärten Umsatzerlöse vornehmen. Und diese Kalkulation, egal ob es sich hierbei um eine Ausbeute- oder Rohgewinnaufschlagsatzkalkulation handele, führe nahezu immer zu beachtlichen Kalkulationsdifferenzen und damit zu dem vorgeblichen Beweis, dass die Buchführung nicht nur formell, sondern auch sachlich unrichtig ist.
Diese Kalkulationsdifferenzen seien jedoch, so Rechtsanwalt König weiter, in vielen Fällen weniger Ausdruck der sachlichen Unrichtigkeit der Buchführung als vielmehr dem Umstand geschuldet, dass der Außenprüfer Kalkulationsparameter innerhalb seiner Rechnung ansetzt, die bar jeder Realität sind: Wer beim Fassbier einen Schankverlust von drei Prozent, bei Wein und Sekt meist gar keinen Verlust und bei Lebensmitteln einen Schwund und Verderb von drei Prozent berücksichtige, müsse sich nicht wundern, wenn er am Ende seiner Berechnung erhebliche höhere Kalkulationserlöse erhält, als der Steuerpflichtige erklärt hat. Wurden dann noch Abzüge für den Eigenverbrauch des Unternehmers und seiner Familie sowie für Personalgetränke und gegebenenfalls Personalverpflegung vergessen, summieren sich die Kalkulationsdifferenzen schnell auch bei kleineren und mittleren Betrieben auf mehrere Hunderttausend Euro.
Rechtsanwalt König zieht deshalb ein klares Fazit: „Wenn der Betriebsprüfer kalkuliert, hat der Gastronom fast immer verloren.“ Und dies leider aus doppeltem Grund: Dem Gastronomen obliegt es nämlich nunmehr – rein faktisch – zu beweisen, dass die vom Außenprüfer aufgestellte Kalkulation fehlerhaft ist, weil sie zum Beispiel falsche Parameter aufweist. Diese faktische Beweislastumkehr sieht das Gesetz zwar nicht vor, sie ist aber Steueralltag, wie König berichtet. Will heißen: Liegt eine Kalkulation des Prüfers auf dem Tisch, obliegt es nun dem Gastronomen, zumindest glaubhaft darzutun, dass der Schankverlust und sonstige Schwund bei Fassbier, Wein, Sekt und Lebensmitteln wesentlich höher ist als die Werte, die der Prüfer angesetzt hat. Ein Unterfangen, das sich einfacher anhört, als es in der Praxis tatsächlich ist. Jedem praxiserfahrenen Gastronomen erschließt es sich zwar sofort, dass zum Beispiel bei Lebensmitteln der Verlust an Waren durch Abschnitt, Parierverlust und Verderb wesentlich höher als die angesetzten drei Prozent ist – doch wie beweist man diese Tatsache – und zwar für die Vergangenheit? Entsprechende Bemühungen kosten in der Regel immer sehr viel Zeit und Geld. König rät deshalb, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. Der erste und wichtigste Schritt hierzu sei, dafür Sorge zu tragen, dass die Buchführung nicht nur soweit als irgend möglich den formellen Anforderungen genügt, sondern dass der Gastronom durch entsprechende Dokumentationen dem Prüfer zeigt, dass er um größtmögliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit bemüht ist.
In der Praxis hätten sich hier neben der Erfüllung der gesetzlichen Dokumentationspflichten insbesondere von Mitarbeitern unterschriebene Abrechnungsprotokolle zusätzlich zu den aufzubewahrenden Z- und ggf. X-Abschlägen, Bargeldprotokolle bei offenen Ladenkassen oder aber auch das nächtliche Faxen des Z-Abschlages an den Steuerberater bewährt. Dass alles ist, wie sich König bewusst ist, mit großem Aufwand verbunden. Aber dem Unternehmer bleibt nach der Einschätzung des Steuerexperten wenig anderes übrig, will er nicht bei der nächsten Außenprüfung mit noch größerem Aufwand in Gestalt von beachtlichen Steuernachzahlungen konfrontiert werden. Kurz gesagt: „Sie müssen den Prüfer davon überzeugen, dass Ihr Unternehmen transparent, offen und nachprüfbar ist“, rät König. „Dann haben Sie den ersten Schritt getan, dass Ihr Betrieb außerhalb des gegen die Branche bestehenden Generalverdachts steht.“