Herr Busch, Sie helfen uns, die wissenschaftliche Seite der steigenden Anforderungen an die Selbstoptimierung und die fortschreitende Digitalisierung zu betrachten. Eine Frage vorab: Gibt es ein Entkommen?
Fluchtversuche sind wenig erfolgsversprechend. Der Digitalisierung können wir genauso wenig entkommen wie dem Wetter oder dem allgemeinen Zeitgeist. Unsere Welt ist stets im Wandel. Die Kunst eines erfolgreichen Lebens besteht vielmehr darin sich bestmöglich anzupassen und die Dinge um sich herum aktiv mitzugestalten. Daß man dabei zunächst unsicher ist und vielleicht sogar Angst hat vor Veränderungen, ist mehr als verständlich. Aber nur wer sich aus der Opferrolle befreit, kann sich letztlich voll entfalten und entwickeln.
Sehen Sie die Digitalisierung als Chance und wo lauern Gefahrenpotentiale?
Ich glaube in der derzeitigen Diskussion überwiegen die Ängste, in der Realität dagegen überwiegen die Chancen. Ich bin überzeugt davon, daß digitale Prozesse das Leben der Menschen leichter, komfortabler und zeitökonomischer machen können und werden. Dadurch könnten möglicherweise neue Vakanzen entstehen, die wir nutzen können für Dinge, die uns am Herzen liegen oder für die Gesellschaft wichtig sind. Es besteht also nach meinem Dafürhalten tatsächlich die Chance, daß wir durch zahlreiche Prozesse der sog. Digitalisierung die Welt zu einer besseren machen können. Aber das gelingt nur, wenn wir die digitale Transformation politisch und gesellschaftlich klug gestalten. Die Lösung hierfür liegt nicht in den schnellen Datenleitungen, sie muss in unseren Köpfen und Herzen entstehen und mit Mut und Überzeugung umgesetzt werden.
Gibt es eine Altersgrenze, die den Menschen aufhält, wenn es um das Erlernen neuer Prozesse geht? Oder ist es nur eine Frage der inneren Einstellung?
Unser Gehirn hat die bemerkenswerte Fähigkeit in jedem Alter Dinge hinzulernen zu können. Wir mögen uns in der Jugend mit dem Lernen etwas leichter tun, möglich ist es aber auch im fortgeschrittenen Alter. Auch das synaptische Vernetzen und das Wachstum neuer Nervenzellen hält bis Senium an. Die Natur schenkt uns also über die gesamte Lebensspanne die biologische Voraussetzung für Veränderung, Anpassung und Wachstum. Das sollte eine Botschaft an uns sein.
Negative Einstellung stehen uns da natürlich manchmal im Weg. Denn Depressivität und Ängstlichkeit sind starke Wachstumshemmer im Gehirn. Umgekehrt weiß man dagegen, daß Offenheit für neue Erfahrungen das neuronale Wachstum begünstigt und Lerneffekte verstärkt. Wer seine Umwelt also neugierig wahrnimmt und sich für Neues begeistern kann, wird vom Gehirn in einer ganz besonderen Weise belohnt.
Sie wollen mit Ihren Vorträgen Bewährtes infrage stellen und die Zuhörer dazu bewegen, die Perspektive zu wechseln. Warum fällt es den Menschen schwer, aus festgelegten Denkweisen auszubrechen?
Gewohnheiten sind billig. Sie kosten stoffwechselphysiologisch weniger als neues und geplantes bzw. sorgsames überwachtes Verhalten. Sparsamkeit wiederum war in unserer Geschichte ein Überlebensvorteil. Da wir das biologische Erbe unserer Vorfahren in uns tragen, reagieren wir auf Veränderungsnotwendigkeiten auch heute noch meist eher zurückhaltend oder gar aversiv. In einer Welt des permanenten Wandels steht uns das dann häufig im Weg. Ausbrechen, wie Sie es nennen, ist aber möglich. Denn wir sind nicht Sklave unserer Gewohnheiten. Fas jedes Muster im Gehirn ist modulierbar. Zwar können wir Menschen uns nur selten ganz grundlegend ändern, aber wir können immer wieder neue Dinge hinzulernen und dadurch neue Perspektiven hinzugewinnen, die uns reifen lassen und unsere eigene Entwicklung ermöglichen. Das Gehirn und mit ihm alle unsere Gedanken und Gefühle sind nicht in Stein gemeißelt, sondern dynamisch und plastisch. Wir müssen uns nur trauen Veränderungen auch zu gestalten.
Multitasking wird immer mehr zur Grundvoraussetzung, ohne geht nichts. Ist das zeitgleiche Händeln verschiedener Aufgaben sinnvoll, erlernbar oder schadet es am Ende doch nur der Qualität einzelner Prozesse?
Multitasking entspricht im Arbeitsleben weniger einer echten Gleichzeitigkeit, sondern mehr in ständigem Hin- und Herschalten. Es ist also vielmehr ein Task Switching. Die Geschwindigkeit des Umschaltens kann man zwar geringfügig lernen, aber in aller Regel führt Aufmerksamkeitswechsel immer zu starken Verlusten. Wir brauchen letztlich für die Aufgaben mehr Zeit und machen mehr Fehler. Übrigens Männer und Frauen! Deutlich produktiver wäre es, wenn man den Dingen nacheinander ihre Tiefe schenkt, die sie verdienen. Das wird sich im Alltag nicht bei allen Kleinigkeiten organisieren lassen. Aber bei den max. 20% wirklich wichtigen Dingen des Tages sollte eine fokussierte Konzentration ohne Ablenkung oder Unterbrechung eine hohe Priorität haben. Das verbessert übrigens nicht nur die geistige Verarbeitungstiefe und damit die allgemeine Leistung, sondern auch die Zufriedenheit und senkt das Stressniveau.
Was können wir tun, um nicht an den ständigen Anforderungen zu verzweifeln, sondern an ihnen zu wachsen und unsere Leistung daran anzupassen?
Die hohen Anforderungen per se machen uns nicht krank, sondern die heute starke Versagensangst und der immerwährende Erfolgsdruck, der mit ihnen verbunden ist. Der Zusammenhang ist wissenschaftlich mehrfach nachgewiesen worden.
Dieser neuzeitliche Stress, der ganz viel mit uns und unseren inneren Ansprüchen zu tun hat, erfordert eine andere Herangehensweise: Die körperlichen und geistigen Anstrengungen eines intensiven Arbeitstags benötigen nämlich lediglich regelmäßig Erholungsphasen. Ängste und Sorgen dagegen benötigen das Erlernen einen barmherzigen Umgang mit seinen inneren Antreibern, mit übertriebenem Perfektionismus oder die versöhnende Bewältigung von Misserfolgen. Uns allen würde es guttun, wenn wir mitunter etwas mehr Gelassenheit üben würden und uns selbst manchmal nicht so ernst nähmen. Natürlich erleben wir alle Situationen in Beruf und Alltag, die uns an Grenzen bringen und Stress erzeugen, weil wir unser Bestes geben müssen. Das macht uns auch nicht krank. Erst die Chronizität immer und überall maximale Leistung zu bringen führt zur Überforderung.
Wie kann ich als Gastronom meine Mitarbeiter trotz Stress und anstrengenden Gästen motivieren und dem gesamten Team ein Gefühl von Wohlbefinden vermitteln?
Eines der wertvollsten Instrumente in der Motivation von Mitarbeitern ist dafür Sorge zu tragen, daß sie ihre Aufgabe als sinnvoll erleben. Dazu gehört zu verstehen was man warum und für wen macht. Diese Kohärenz erleben Menschen als sehr erfüllend. Und es setzt Kräfte frei. Nietzsche sagte einst: „Wer das Warum kennt, kann jedes Wie ertragen…“ Natürlich garantiert sinnhafte Arbeit kein Leben ohne jegliche Belastung, aber es lässt uns Stress vergleichsweise leichter ertragen. Daher kann es für Unternehmer im Hinblick auf die Mitarbeitergesundheit manchmal nachhaltiger sein, die anstehenden Aufgaben und Projekte verstehbar, handhabbar und attraktiv zu gestalten, statt einfach nur Obstkörbe auf den Fluren aufzustellen und Fitnessgutscheine zu verteilen. Sinnhaftigkeit im Job ist eine der größten Ressourcen in der Wertschöpfungskette Mensch.
Sie haben bereits über 1.000 Fachvorträge gehalten, woher nehmen Sie die Motivation?
Waren es wirklich schon so viele? Die Zahl hätte ich Ihnen gar nicht nennen können, wohl aber die Motivation, die dahintersteht. Für mich persönlich war es immer wunderschön, einerseits Wissen aus dem Leben betroffener Patienten oder den Experimenten meiner wissenschaftlichen Arbeitsgruppe anderen Menschen in Seminaren oder Vorträgen nahe zu bringen. Es ist für mich die perfekte Mischung aus Labor und Leben, eine Kombination aus geistigem Input im und Output auf der Bühne. Und wie immer im Leben ist eine Arbeit, die uns im Inneren berührt auch motivierend. Konfuzius soll mal gesagt haben: „Wähle im Leben den Beruf, den du liebst, und du musst nie wieder arbeiten…“ Ich habe ihn persönlich leider nie kennen gelernt, aber ich bin ihm sehr dankbar für diese wunderbare Weisheit, die mir im Leben vor vielen Jahren einmal sehr viel weiterhalf…
Zur Person
Dr. med. habil. Volker Busch ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Privatdozent am Lehrstuhl der Universität Regensburg. Er ist als Speaker, Trainer und Coach für viele Unternehmen tätig.