1. Entscheidung des BAG
Dem Beschluss des BAG vom 13.9.2022 (1 ABR 22/21) lag eine Streitigkeit zwischen einem Arbeitgeber und dem bei ihm gebildeten Betriebsrat über die Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zugrunde. Ursprünglich wollte der Arbeitgeber ein solches elektronisches System einführen, da allerdings keine Einigung mit dem Betriebsrat erzielt werden konnte, brach er die Verhandlungen ab. Der Betriebsrat wollte allerdings den Einsatz eines elektronischen Zeiterfassungssystems im Rahmen einer Einigungsstelle erzwingen. In diesem Zusammenhang vertrat der Betriebsrat die Ansicht, ihm stünde ein Initiativrecht im Rahmen des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zu.
Dieser Ansicht erteilte das BAG allerdings eine Absage und argumentierte, ein Initiativrecht des Betriebsrats scheide aus, da der Arbeitgeber bereits gesetzlich zur Einführung eines Zeiterfassungssystems verpflichtet sei. Die gesetzliche Verpflichtung ergebe sich dabei aus § 3 Abs. 2 Nr.1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), wonach der Arbeitgeber zur Planung und Durchführung der Maßnahmen des Arbeitsschutzes für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereit zu stellen habe. Zwar hatte bereits der EuGH in seiner CCOO-Entscheidung vom 14.5.2019 (C 55/18) entschieden, dass die Mitgliedsstaaten Arbeitgeber zur Einführung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeitsystems verpflichten müssen. Bisher gingen die deutschen Arbeitgeber allerdings davon aus, dass hier zunächst der Gesetzgeber tätig werden müsse, um eine entsprechende Verpflichtung gesetzlich zu verankern. Das BAG hat aber dem seit mehr als drei Jahren untätig gebliebenen Gesetzgeber vorgegriffen und festgestellt, dass sich die Verpflichtung bereits aus dem ArbSchG ergebe.
2. Auswirkungen der Entscheidung des BAG für Arbeitgeber im Hotel- und Gastgewerbe
Auch wenn die Entscheidung des BAG für enormes öffentliches Aufsehen sorgte, ist festzuhalten, dass bereits bisher nach § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) der Arbeitgeber verpflichtet ist, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeiten der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Speziell im Bereich der geringfügigen Beschäftigung und im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe gilt bereits seit der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 eine Verpflichtung zur Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit betroffener Arbeitnehmer (§ 17 Abs. 1 MiLoG). Darüber hinaus enthalten die Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung (MiLoDokV) und die Mindestlohnaufzeichnungsverordnung (MiLoAufzV) weitere Einzelheiten und Einschränkungen.
Allerdings wirft die Entscheidung des BAG die Frage des Verhältnisses zwischen den Regelungen im MiLoG und dem ArbSchG auf, denn das MiLoG verpflichtet ausschließlich zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten von Arbeitnehmer*innen. Der persönliche Anwendungsbereich des ArbSchG ist aber deutlich weiter und erfasst sämtliche „Beschäftigten“ und ist somit deutlich weiter gefasst. Dementsprechend könnte argumentiert werden, dass nunmehr die Arbeitszeiten von sämtlichen im Betrieb tätigen Personen zu erfassen sind, so beispielsweise auch für Mitarbeiter oberhalb der in § 1 MiLoDoKV statuierten Lohngrenze, leitenden Angestellten und Geschäftsführern.
Ungeklärt ist zudem bisher, wie die Arbeitszeit konkret zu erfassen ist. Zwar sieht § 17 MiLoG insoweit keinerlei Einschränkungen vor, so dass der Arbeitgeber hier einen Umsetzungsspielraum hat. Allerdings dürfte auch in diesem Zusammenhang eine europarechtskonforme Auslegung unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 14.5.2019 geboten sein. Dementsprechend muss die Aufzeichnung der Arbeitszeit durch ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeitsystem erfolgen. Ob diese Voraussetzungen nur bei der Arbeitszeiterfassung durch ein elektronisches System gewahrt ist, ist bislang ungeklärt, da sich weder der EuGH noch das BAG in seiner Pressemitteilung hierzu geäußert haben. Insoweit dürften die Entscheidungsgründe des BAG abzuwarten sein. Sollte sich das BAG in seinen Entscheidungsgründen hierzu nicht äußern, was zu erwarten sein dürfte, so dürfte der Spielball wiederum beim Gesetzgeber liegen, um insofern Klarheit zu schaffen.
3. Fazit
Aufgrund der Entscheidung des BAG sind Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten zu erfassen. Auch wenn Verstöße gegen § 3 ArbSchG nicht bußgeldbewehrt sind, so ist damit zu rechnen, dass Arbeitnehmer, Betriebsräte und Aufsichtsbehörden verstärkt Kontrollen zur Arbeitszeiterfassung durchführen werden. In diesem Zusammenhang sind Arbeitgeber gut beraten, zunächst eine Bestandsaufnahme durchzuführen und zu prüfen, von welchen Beschäftigten bisher keine Arbeitszeiten erfasst werden. Sodann sollte überprüft werden, ob bisher eingesetzte Arbeitszeiterfassungssysteme für diese Mitarbeiter ebenfalls genutzt werden können. Ungeachtet der arbeitszeitrechtlichen Komponente darf aber auch die vergütungsrechtliche Seite nicht aus dem Blick verloren werden, denn durch die verpflichtende Aufzeichnung von Arbeitszeiten dürften vermehrt Überstunden zu Tage treten. In diesem Zusammenhang sollten Arbeitsverträge dahingehend überprüft werden, ob entsprechende Abgeltungsklauseln vereinbart wurden.
Hinsichtlich der durch den Beschluss des BAG offengebliebenen Fragen (konkrete Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung, Möglichkeit der Delegation der Arbeitszeit auf Arbeitnehmer, etc.), bleiben die Entscheidungsgründe sowie der Umgang des Gesetzgebers mit der Entscheidung abzuwarten. Insofern hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bereits angekündigt, den Erlass einer Verordnung bzw. die Änderung des ArbZG im Hinblick auf den Beschluss des BAG zur prüfen.