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Was ist die „bayerische Lösung“?
Die sogenannte „bayerische Lösung“ sah eine Zahlung in Höhe von 50 Prozent des tatsächlichen Schadens vor. Allerdings haben die Versicherer den Schaden vorgerechnet und den Versicherungsnehmern mitgeteilt, dass der Schaden lediglich 30 Prozent der vereinbarten Entschädigungsleistung betragen würde. Dies wurde mit der Zahlung von Kurzarbeitergeld und den Soforthilfemaßnahmen der Länder begründet. Um den betroffenen Unternehmen „zu helfen“ erklärten sich die Versicherer bereit, die Hälfte des Schadens, also 15 Prozent der vereinbarten Tagesentschädigung zu zahlen. Mit dem gleichen Angebot haben die Versicherer den Geschädigten aber unmissverständlich mitgeteilt, dass der Lockdown nicht versichert sei und keinerlei Ansprüche aus der Versicherung bestünden.
Auf den ersten Blick wirkt dieses Angebot natürlich großzügig. Wenn ohnehin kein Anspruch besteht, der Schaden maximal 30 Prozent der vereinbarten Leistung beträgt und sich der Versicherer zur Übernahme von 50 Prozent erklärt, liegt die Annahme dieses Angebotes natürlich nahe. Dies auch, da die Betroffenen kurzfristig Liquidität benötigten. So sollen beinahe zwei Drittel der Versicherungsnehmer dieses Angebot auch angenommen haben, zumindest wird dieser Anteil von den Versicherern benannt. Die Zahlung aus der Betriebsschließungsversicherung erfolgte natürlich nicht vorbehaltslos. Die Versicherungsnehmer mussten zumindest in den weit überwiegenden Fällen eine Vereinbarung unterzeichnen, in der sich damit einverstanden erklärt wurde, dass durch die Zahlung auch alle weiteren Ansprüche aus der Versicherung, auch für zukünftige Betriebsschließungen, im Zusammenhang mit dem Auftreten des Corona-Virus (Covid-19) endgültig abgegolten sind.
Wenn damit alle Ansprüche endgültig abgegolten wären, können die Betroffenen zumindest aus Sicht der Versicherer keine Ansprüche mehr aus der zweiten angeordneten Betriebsschließung ab November 2020 stellen können. Aber ist das zutreffend?
Anspruch trotz Unterzeichnung der „bayerischen Lösung“?
Bei näherer Betrachtung der „bayerischen Lösung“ dürfte es den Versicherern verwehrt sein, sich auf diese Vereinbarung berufen zu können. Nach diesseitiger Auffassung stellt der Vergleich ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glaube dar, so dass auch für den zweiten Lockdown ein Anspruch aus der Betriebsschließungsversicherung bestehen dürfte, selbst wenn die Betroffenen im Frühjahr eine Zahlung von 15 Prozent der vereinbarten Entschädigung durch den Versicherer erhalten haben.
Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2007 zu dem Aktenzeichen IV ZR 244/01 geht hervor, dass sich der Versicherer auf eine Vereinbarung über die Leistungspflicht nach dem behaupteten Eintritt des Versicherungsfalles, die die Rechtsposition des Versicherungsnehmers einschränkt, dann nicht berufen kann, wenn der Versicherungsnehmer nicht deutlich darauf hingewiesen wurde, wie sich seine Rechtsposition darstellt und in welcher Weise diese durch den Abschluss der Vereinbarung eingeschränkt wird. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes darf der Versicherer nicht seine „überlegene Stellung“ ausnutzen. Eine interessengerechte Vereinbarung über die Leistung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer erfordert ein „lauteres und vertrauensvolles“ Zusammenwirken, das auf ein Ergebnis abzielt, die den Tatsachen und der Rechtslage entsprechen. Zudem soll ein klarer und unmissverständlicher Hinweis der Versicherung erforderlich sein, wie sich die Rechtsposition des Versicherungsnehmers darstellt und wie diese eingeschränkt wird, so der BGH.
Die Entscheidung ist zwar zur Berufsunfähigkeitsversicherung ergangen, zeigt allerdings deutliche Parallelen zu der großflächig angebotenen „bayerischen Lösung“. Mit der Vereinbarung dürften die Versicherer den vorbenannten Grundzügen nicht entsprechen. Die jeweiligen Versicherer haben in der Vereinbarung die Ansprüche mit teilweise unzutreffender Begründung abgelehnt und dem Versicherungsnehmer vorgerechnet, dass er ohnehin nur 30 % der vereinbarten Leistung erhalten könne. Diese Berechnung erfolgte allein mit dem Ziel, die Betroffenen zu dem Abschluss der Vereinbarung zu bewegen. Hätte der Versicherer auf die Berechnung verzichtet und lediglich 15 Prozent der vereinbarten Versicherungsleistung angeboten, so wären sicherlich nur eine geringe Zahl der Betroffenen bereit gewesen, einen solchen Vergleich zu schließen. Die Versicherung hat den Schaden also bewusst „klein gerechnet“ und in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass Kurzarbeitergeld sowie etwaige Soforthilfen den Anspruch mindern würden. Kurzarbeitergeld ist allerdings ein Anspruch der Arbeitnehmer und kann daher nicht auf die Versicherungsleistung angerechnet werden. Auch etwaige Soforthilfen sind nicht ohne weiteres auf den Anspruch aus dem Versicherungsvertrag anzurechnen. Natürlich kommt es hier auf den Inhalt der jeweiligen Versicherungsbedingungen an, aber durch die Angabe, der Schaden würde maximal 30 Prozent betragen, hat der Versicherer hier seine überlegene Stellung ausgenutzt und die Versicherungsnehmer in unzulässiger Weise in ihren Rechten beschränkt.
Fazit
Durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes lässt sich also begründen, dass sich die Versicherer nicht auf den Abschluss der „bayerischen Lösung“ berufen können. Trotz Abschluss einer solchen Vereinbarung kann also ein weiterer Anspruch, auch aus dem ab November 2020 geltenden Lockdown, bestehen. Da die Versicherungsbedingungen allerdings nicht einheitlich sind, wären diese im Einzelfall zu prüfen.
Ferner dürften die Versicherer auch gegen § 1a Abs. 1 Nr. 4 VVG verstoßen haben, so dass ein entsprechender Schadensersatzanspruch der Betroffenen bestehen kann.
Über den Autor:
Jonathan zur Nieden ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in der Kanzlei zur Nieden Rechtsanwalt und Fachanwalt in Hamburg. Durch Rechtsanwalt zur Nieden werden die Betroffenen bundesweit in Fragen zu den Betriebsschließungsversicherungen beraten und vertreten. Ein Erstgespräch ist dabei selbstverständlich kostenfrei.