Wann bin ich eigentlich verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen?
In Deutschland muss ein Unternehmen, das gegenüber seinen Geschäftspartnern nur beschränkt haftet (also bspw. eine sogenannte GmbH oder UG), bei Eintreten der sogenannten Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung einen Insolvenzantrag stellen. Hierfür sind die Geschäftsführer verantwortlich. Zahlungsunfähigkeit liegt bereits schon dann vor, wenn 10 % oder mehr der aktuell fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlt werden können. Überschuldung liegt dagegen vor, wenn für das Unternehmen keine Fortführungsperspektive mehr besteht und dann das Vermögen des Unternehmens die Schulden nicht mehr deckt. Das Vorliegen dieser Umstände ist oft schwer zu ermitteln. Hierfür sollte ein Steuerberater oder ein Rechtsanwalt hinzugezogen werden.
Die Politik hat die Insolvenzantragspflicht bis Ende April 2021 ausgesetzt. Kann sich auch mein Unternehmen auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende April 2021 berufen?
Vor kurzem hat die Politik den hierfür geltenden § 1 des COVID-19- Insolvenzaussetzungsgesetzes angepasst. Wer sich auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht beruft, muss für sein Unternehmen danach Folgendes nachweisen:
Das Unternehmen muss als Folge der COVID- 19 Pandemie insolvenzreif geworden sein. Dies wird vermutet, wenn das Unternehmen am 31.12.2019 zahlungsfähig war.
Weiterhin ist erforderlich, dass das Unternehmen staatliche Hilfeleistungen bis zum 28. Februar beantragt hat. Wenn eine Antragstellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen innerhalb des Zeitraums nicht möglich war, reicht es aus, wenn das Unternehmen in den Kreis der Antragsberechtigten für die staatlichen Hilfsprogramme fällt.
Zudem müssen positive Aussichten auf Erlangung der Hilfeleistungen bestehen. Die Voraussetzungen, um überhaupt staatliche Hilfe zu bekommen, müssen also erfüllt sein.
Zuletzt muss auch nachgewiesen sein, dass die Auszahlung der Hilfeleistung die Insolvenzreife, also die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung beseitigt.
Besonders der letzte Punkt dürfte für viele Unternehmer eine große Hürde darstellen. Hier muss eine Finanzplanung dokumentieren, dass durch die Auszahlung der staatlichen Hilfeleistungen die bestehende oder drohende Liquiditätslücke geschlossen werden kann. Wir empfehlen hier eine Bestätigung und Dokumentation durch einen externen Berater, der die Planung mit Ihnen erläutert und dies auch rechtlich prüft.
Welche Haftungsrisiken bestehen für Geschäftsführer und Unternehmer, bei deren Unternehmen die Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht bestehen?
In diesem Fall drohen dem betroffenen Geschäftsführer strafrechtliche Risiken wegen Insolvenzverschleppung. Außerdem darf ab dem Zeitpunkt der Insolvenzantragspflicht im Grundsatz keine Zahlung vom Unternehmen mehr geleistet werden. Lediglich innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Eintritt der Antragspflicht können unter bestimmten Bedingungen sogenannte betriebsnotwendige Zahlungen vom Unternehmen geleistet werden. Wenn der Geschäftsführer gegen dieses Zahlungsverbot verstößt, dann muss er bei einer späteren Insolvenz damit rechnen, dass er solche Zahlungen, die ganz erheblich sein können, aus seinem Privatvermögen zurückerstatten muss. Dies führt in vielen Fällen dann auch zur Privatinsolvenz des Geschäftsführers. Dieses Problem stellt viele Geschäftsführer und Unternehmer vor ein ganz großes Dilemma.
Es droht ein böses Erwachen, das dann viele, die sich in Sicherheit gewogen haben, in den finanziellen Ruin treibt. Es ist davon auszugehen, dass im Laufe der nächsten Jahre, viele Geschäftsführer mit solchen Haftungsansprüchen konfrontiert sind. Gerade deswegen ist Vordenken besser als Nachdenken. Der Gesetzgeber will aber durch diese Haftungsandrohung die Verantwortlichen dazu bewegen, auch wirklich rechtzeitig die Reißleine zu ziehen und einen Insolvenzantrag zu stellen. Ab dem Moment, indem der Verantwortliche nämlich einen Insolvenzantrag stellt, besteht dann keine Haftungsgefahr. Wir sehen, dass sich viele betroffene Gastronomen und Hoteliers gerade auch wegen dieser Haftungsrisiken in einer absoluten Zwangslage befinden und auch aus nachvollziehbaren Gründen angesichts der rechtlich komplexen Haftungsrisiken überfordert sind. Gerade deswegen ist es wichtig, hier Experten zu Rate zu ziehen.
Welche Möglichkeiten habe ich als betroffener Geschäftsführer, um den Haftungsrisiken zu entgehen?
Falls Sie als Geschäftsführer oder Unternehmer unsicher sind, ob die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zum Tragen kommt, kann es durchaus sinnvoll sein, proaktiv ein Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung einzuleiten. Hierbei handelt es sich um ein besonderes Insolvenzverfahren, das die Sanierung des Unternehmens zum Ziel hat und bei dem der Geschäftsführer weiter an Bord bleibt und die Sanierungsoptionen maßgeblich mitbestimmt.
Im Falle der Einleitung eines solchen Verfahrens ist jedenfalls der Geschäftsführer auf der sicheren Seite und muss dann nicht mehr mit den Haftungsrisiken wegen Insolvenzverschleppung rechnen. Zudem bietet das Verfahren verschiedene Sanierungswerkzeuge, die helfen, das Unternehmen wieder profitabel zu machen. Viele Unternehmen haben auch zu Coronazeiten erfolgreich dieses Sanierungsinstrument genutzt. In jedem Fall sollten die Insolvenzantragspflicht bzw. die mögliche Aussetzung und die bestehenden Optionen sorgfältig geprüft werden.
Autor: Dr. Jasper Stahlschmidt ist Rechtsanwalt sowie Fachanwalt für Insolvenzrecht und Geschäftsführer der Buchalik Brömmekamp Rechtsanwaltsgesellschaft: www.buchalik-broemmekamp.de