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Kündigung mit Folgen: LAG München verurteilt Gastro-Arbeitgeber zu 100.000 € Schadensersatz

Ein aktuelles Urteil aus München sorgt für Aufsehen in der Gastgewerbe-Branche: Ein Arbeitgeber musste einem gekündigten Kellner rund 100.000 Euro Schadensersatz zahlen – und sogar eine schriftliche Entschuldigung leisten. Was war passiert, und welche Lehren können Hoteliers und Gastronomen daraus ziehen?
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Der Fall: Kündigung eines engagierten Kellners

In dem bemerkenswerten Fall, der im Jahr 2025 vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) München verhandelt wurde, klagte ein 24-jähriger Jurastudent gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber – einen Gastronomiebetrieb – und bekam Schadensersatz in Höhe von rund 100.000 Euro sowie weitere Ansprüche zugesprochen. Hintergrund war eine fristlose Kündigung des Studenten in seinem Nebenjob als Kellner, kurz nachdem er im Betrieb die Initiative zur Gründung eines Betriebsrats ergriffen hatte.

Der Student war seit 2018 geringfügig beschäftigt (Minijob) in einem Lokal tätig. In der ersten Jahreshälfte 2021 machte er erste Schritte, um einen Betriebsrat zu installieren. Daraufhin reagierte der Arbeitgeber spürbar: Der angehende Jurist wurde ab Ende August 2021 nicht mehr zum Dienst eingeteilt, ihm wurden also keine Schichten mehr zugewiesen. Diese De-facto-Suspendierung folgte unmittelbar auf die Betriebsratsinitiative – eine erste Form der Benachteiligung. Eine im Sommer 2021 angesetzte Wahlversammlung zur Betriebsratsgründung scheiterte zwar, doch der Beschäftigungsstopp hielt an.

Als der Student nach Monaten ohne Einsatz seinen Lohn einforderte (Stichwort Annahmeverzugslohn), lenkte der Arbeitgeber zunächst ein und bot ihm wieder Arbeit an – jedoch nicht mehr im Service, sondern plötzlich in der Küche. Der Kellner sollte also anstatt im Gästebereich nun hinter den Kulissen arbeiten. Aus Sicht des Studenten bedeutete diese Versetzung in den Küchendienst eine schikanöse Maßnahme, die mit seiner eigentlichen Tätigkeit nichts zu tun hatte. Er weigerte sich daher, die ungeliebte Küchen-Schicht anzutreten. Daraufhin sprach der Arbeitgeber im Frühjahr 2022 die fristlose Kündigung aus und berief sich zur Begründung auf „beharrliche Arbeitsverweigerung“ – offiziell also darauf, dass der Student seine Arbeit (in der Küche) verweigert habe.

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Kündigung wegen Betriebsratsinitiative – ein gesetzlicher Tabubruch

Schnell wurde klar, dass hinter der Kündigung mehr steckte. Der Student war überzeugt, dass der wahre Grund seine Betriebsratsinitiative war, und erhob Kündigungsschutzklage sowie zahlreiche weitere Ansprüche gegen den Arbeitgeber. Tatsächlich stellte das Landesarbeitsgericht München im Berufungsverfahren fest, dass die fristlose Kündigung rechtswidrig war – insbesondere, weil sie tatsächlich auf den Betriebsratsaktivitäten des Klägers beruhte. Die angebliche „Arbeitsverweigerung“ diente nur als Vorwand. Die Richter machten deutlich, dass die Versetzung in die Küche allein den Zweck hatte, Druck auf den Kläger auszuüben und eine Kündigung zu provozieren. Der zeitliche Zusammenhang zwischen den Bemühungen des Kellners, einen Betriebsrat zu gründen, und der folgenden Nicht-Beschäftigung bzw. Kündigung war offenkundig: Seit Ende August 2021 – unmittelbar nach den Betriebsrats-Initiativen – wurde der Kläger nicht mehr zum Dienst eingeteilt.

Damit sah das Gericht den Tatbestand der Betriebsratsbehinderung als erfüllt an. Maßnahmen, die Beschäftigte wegen eines geplanten oder bestehenden Betriebsrats benachteiligen, sind nach deutschem Arbeitsrecht verboten. Hierzu zählt insbesondere auch eine Kündigung, die als Reaktion auf eine Betriebsratsgründung erfolgt. Ein solches Verhalten verstößt gegen das BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) und das allgemeine Maßregelungsverbot (§ 612a BGB). Folgerichtig erklärte das LAG: Kündigungen oder andere Nachteile, die auf eine Betriebsratsinitiative abzielen, sind rechtswidrig – und können den Arbeitgeber schadensersatzpflichtig machen. Für Arbeitgeber in Hotellerie und Gastronomie bedeutet das: Absolute Vorsicht bei Konflikten rund um die Mitbestimmung! Wer einen Betriebsratsgründer kaltstellt oder kündigt, riskiert erhebliche finanzielle Folgen.

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Praxisbeispiel: Ein Restaurantleiter erfährt, dass einige Servicekräfte einen Betriebsrat wählen möchten. Er überlegt, die Initiatoren möglichst schnell „loszuwerden“, etwa durch Versetzung in unbequeme Jobs oder kurzfristige Kündigungen in der Probezeit. Dieses Urteil zeigt: Ein solcher Ansatz wäre fatal. Selbst wenn die Belegschaft klein ist oder Mitarbeiter noch keine 6 Monate im Betrieb sind – der Schutz vor Benachteiligung wegen Betriebsratsplänen greift. Die Gerichte werden genau hinschauen, ob eine vermeintliche Leistungs- oder Verhaltenskündigung in Wahrheit eine unzulässige Betriebsratsbehinderung darstellt.

Umfangreicher Schadensersatz: Lohn, Trinkgeld und Sachleistungen

Bemerkenswert an der Münchener Entscheidung ist vor allem, wie umfassend der Schadensersatz ausfällt. Das LAG München hob die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts auf und gab dem Kläger nahezu vollständig Recht. Der Arbeitgeber – in diesem Fall letztlich auch persönlich der Geschäftsführer (dazu später mehr) – musste den gesamten entstandenen Schaden ersetzen, der dem Kellner durch die unrechtmäßige Kündigung entstanden war.

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Rechtsprechung und UrteileKündigungsrecht

Dazu zählen zunächst der Verdienstausfall an regulärem Lohn seit August 2021 sowie die weitergehenden Gehaltsansprüche bis zur letzten Gerichtsentscheidung. Doch damit nicht genug: Das Gericht berücksichtigte auch entgangene Zusatzverdienste. Konkret wurden Trinkgelder als Teil des Einkommens gewertet und ersetzt. Das LAG schätzte die durchschnittlich zu erwartenden Tipps mit pauschal 100 € pro nicht geleisteter Schicht – ein erheblicher Betrag, der den Schadenersatz spürbar erhöht. Diese Anerkennung von entgangenem Trinkgeld als entgangener Gewinn gemäß § 252 BGB ist bisher einzigartig, denn höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dazu existiert bislang nicht. Für die Praxis bedeutet dies: Auch vermeintlich „weiche“ Einkommensbestandteile wie Trinkgelder können im Streitfall einklagbar sein, wenn sie normalerweise zum Einkommen gehören. Gerade im Gastgewerbe sind Trinkgelder ein relevanter Verdienstbestandteil – sie dürfen also nicht unterschätzt werden. Arbeitgeber sollten im Hinterkopf behalten, dass Einbußen bei Trinkgeldern im Rahmen von Schadensersatzforderungen zukünftig mit einbezogen werden können.

Ebenfalls ersatzfähig waren die Sachleistungen, die dem Kellner entgangen sind. In vielen Gastronomiebetrieben ist es üblich, dass Mitarbeiter pro Schicht gewisse Vergünstigungen erhalten – etwa ein kostenfreies Mitarbeiteressen oder Getränke zum Personalpreis. Auch solche Vorteile hat das LAG München hier als Teil des Lohns in Form von Sachbezügen anerkannt. Die Rechnung: Hätte der Kläger normal weitergearbeitet, hätte er nach seinen Schichten vergünstigt essen und trinken können. Diese Vergünstigungen sind geldwert und flossen im Betrieb des Beklagten offenbar auch in die Lohnabrechnung mit ein. Deshalb müssen sie nun ebenfalls als Schaden ersetzt werden. Für Gastronomen ist das ein wichtiger Hinweis: Selbst freiwillige Extras, die zum „Gewohnheitsrecht“ im Betrieb geworden sind, können im Ernstfall juristisch als Bestandteil des Gehalts gewertet werden. Streicht man einem Arbeitnehmer unrechtmäßig diese Extras (etwa durch unberechtigte Freistellung oder Kündigung), können sie später eingeklagt werden.

Überstunden und Annahmeverzug: Wenn der Minijob zur Vollzeitstelle wird

Der Kläger hatte darüber hinaus zahlreiche Überstunden geltend gemacht. Obwohl er formal als Minijobber mit geringem Stundenumfang angestellt war, konnte er belegen, dass er tatsächlich regelmäßig weit mehr gearbeitet hatte, als vertraglich vereinbart. Die Dokumentation erfolgte anhand der Dienstpläne, die im Betrieb tagesaktuell geführt wurden. Das LAG akzeptierte diesen Nachweis und sprach dem Studenten die volle Überstundenvergütung zu. Hier zeigt sich ein verbreitetes Problem in der Branche: Nicht selten stimmen vertragliche Arbeitszeit und gelebte Praxis nicht überein – viele Minijobber in Hotels und Restaurants springen ein, wenn viel los ist, und leisten regelmäßig zusätzliche Stunden. Für Arbeitgeber ist das riskant: Werden solche Mehrstunden nicht korrekt erfasst und vergütet, können Mitarbeiter sie rückwirkend einfordern. Die Münchener Entscheidung bestätigt, dass Gerichte die Nachweisanforderungen an Überstunden durchaus als erfüllt ansehen, wenn der Arbeitnehmer z.B. mit Schichtplänen darlegt, wann er gearbeitet hat. Es ist dann Sache des Arbeitgebers, dem substantiiert entgegenzutreten – gelingt ihm das nicht, wird nachgezahlt. Der vermeintliche Sparvorteil eines „billigen“ Minijobbers kann so schnell entfallen.

Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist der sogenannte Annahmeverzugslohn. Dieser Anspruch entsteht, wenn ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht beschäftigt, obwohl dieser arbeiten könnte und möchte – der Arbeitgeber also in den Annahmeverzug gerät. Im vorliegenden Fall hatte der Wirt den Studenten monatelang nicht eingesetzt, nachdem dieser den Betriebsrat initiieren wollte. Das LAG entschied, dass der Student für diese Zeit vollen Lohn erhält, obwohl er keine Arbeitsleistung erbracht hat. Wichtig dabei: Entgegen der Auffassung der ersten Instanz brauchte der Kellner hier kein ausdrückliches Angebot seiner Arbeitskraft vorzulegen. Normalerweise muss ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber anbieten, zu arbeiten, um Annahmeverzugslohn zu beanspruchen (§ 296 BGB). Doch bei flexiblen Abrufarbeitsverhältnissen, wie sie in der Gastronomie häufig vorkommen (Arbeit auf Abruf nach Dienstplan), sah das LAG ein solches Angebot als entbehrlich an. Die Einteilung der Arbeitszeit erfolgte allein durch den Arbeitgeber per Dienstplan, so das Gericht – daher lag die Verantwortung, den Mitarbeiter tatsächlich zu beschäftigen, vollständig bei der Arbeitgeberseite. Der Kellner musste sich also nicht täglich neu anbieten; sein genereller Wille zu arbeiten reichte aus. Mit dieser Sichtweise stellte sich das LAG übrigens explizit gegen eine jüngere Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, das selbst bei flexibler Arbeit auf Abruf ein Angebot des Arbeitnehmers verlangt (BAG, Urt. v. 18.10.2023, Az. 5 AZR 22/23). Hier können Arbeitgeber vorerst unterschiedliche Rechtsauffassungen in den Gerichten beobachten – sicher ist jedoch: Wer einen Mitarbeiter planlos „in der Luft hängen“ lässt, riskiert Lohnnachzahlungen. Gerade im Gastgewerbe mit wechselnden Einsatzzeiten sollten Dienstpläne und tatsächliche Arbeitsleistung stets dokumentiert und im Zweifel vertragsgerecht angepasst werden.

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Neben Lohn und Überstunden standen noch weitere monetäre Details zur Debatte. So hatte der Arbeitgeber pro Schicht 2 € „Gläsergeld“ vom Lohn des Kellners einbehalten – angeblich als Pauschale für evtl. zerbrochene Gläser. Dieses Vorgehen, in einigen Betrieben leider gängige Praxis, erklärte das Gericht für unzulässig. Der Student bekam auch diese einbehaltenen Beträge zurück. Ebenso musste der Arbeitgeber dem Kläger die Kosten erstatten, die diesem für das Waschen der Arbeitskleidung entstanden waren. Der Kellner hatte nach jeder Schicht seine Arbeits-Schürzen selbst reinigen müssen. Hier stellte das LAG klar: Kosten für die Reinigung von Arbeitskleidung, deren Tragen aus hygienischen Gründen vorgeschrieben ist, hat der Arbeitgeber zu tragen. Andernfalls handelt es sich um vom Arbeitnehmer verauslagte Aufwendungen, die zurückzuzahlen sind. Für die Praxis bedeutet das: Stellt ein Betrieb Dienstkleidung (z.B. Kochjacken, Kellnerschürzen) und verlangt deren regelmäßige Sauberkeit, muss er entweder selbst für Reinigung sorgen oder den Mitarbeitern die Reinigungskosten ersetzen. Andernfalls kann ein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 670 BGB bestehen – und zudem droht ein Verstoß gegen das Mindestlohngebot, falls Reinigungskosten das effektive Entgelt schmälern. Tipp: Viele Tarifverträge im Gastgewerbe regeln mittlerweile, dass Arbeitgeber einen Zuschuss zur Reinigung von Berufskleidung zahlen müssen. Wo dies nicht tarifiert ist, sollten Arbeitgeber zumindest intern klare Regelungen treffen, um rechtliche Streitigkeiten zu vermeiden.

Altersdiskriminierende Begründung: Wenn der Arbeitgeber sich entschuldigen muss

Eine besonders ungewöhnliche Facette des Münchner Urteils ist der gerichtlich auferlegte Entschuldigungsbrief. Was war der Hintergrund? – Im Kündigungsschutzprozess hatte der Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Kündigung u.a. vorgetragen, man habe berücksichtigt, dass der Student „lediglich Teilzeit auf Minijob-Basis beschäftigt“ sei und „mit 24 Jahren noch jung und ohne Kinder oder Unterhaltspflichten“. Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber argumentierte, der Verlust des Jobs treffe den jungen, ungebundenen Kellner weniger hart als etwa einen Familienvater in Vollzeit. Diese Argumentation erwies sich als Bumerang. Der Student fühlte sich dadurch diskriminiert – und zwar wegen seines Alters. Tatsächlich sieht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) altersbezogene Benachteiligungen als unzulässig an, sofern sie nicht gerechtfertigt sind. Indirekt wurde hier suggeriert, der 24-Jährige genieße weniger sozialen Schutz, weil er (typischerweise für sein Alter) keine Kinder habe. Das LAG München wertete diese Ausführungen in den gerichtlichen Schriftsätzen als mittelbare Altersdiskriminierung.

Die Folge: Der Arbeitgeber – vertreten durch den beklagten GmbH-Geschäftsführer – wurde verurteilt, sich schriftlich bei dem Kläger zu entschuldigen. Ein solcher Tenor (Urteilsausspruch) ist höchst selten. Juristisch stützte das Gericht den Entschuldigungsanspruch auf die Idee der immateriellen Naturalrestitution: Eine Entschuldigung diene der Wiedergutmachung seelischer Beeinträchtigungen, sozusagen der Wiederherstellung des persönlichen Empfindens. Rückendeckung holte sich das LAG dabei bei der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. So hat der EuGH in einem Urteil von Oktober 2024 (Az. C-507/23) angedeutet, dass eine Entschuldigung ein zulässiges Mittel sein kann, um einen durch Diskriminierung entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen. Im vorliegenden Fall sah das Gericht die herabwürdigende Bezugnahme auf Alter und Familienstand als so schwerwiegend an, dass es neben dem üblichen Entschädigungsanspruch (nach § 15 Abs. 2 AGG) diese ungewöhnliche Maßnahme für gerechtfertigt hielt.

Für Arbeitgeber ist dies ein Warnsignal: Diskriminierende oder unbedachte Äußerungen – selbst im Rahmen eines Gerichtsverfahrens – können rechtliche Folgen haben. Das LAG betonte, dass auch Formulierungen in Schriftsätzen dem AGG unterfallen können. Im Klartext: Wenn ein Arbeitgeber vor Gericht argumentiert, ein Mitarbeiter sei jung und habe keine Verantwortung, klingt das zwar auf den ersten Blick wie eine objektive Tatsache. Im Kontext einer Kündigung kann es aber den Eindruck erwecken, dass hier nach Alter und sozialem Status unterschieden wurde. Praxis-Tipp: Vermeiden Sie in Kündigungsschreiben und Prozessbegründungen jegliche Hinweise auf AGG-Merkmale (Alter, Geschlecht, Familienstand, Religion, Herkunft etc.), sofern sie nicht absolut erforderlich sind. Solche Aussagen bieten Angriffsfläche. Im Zweifel sollten Kündigungen sachlich mit verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt werden – und ohne wertende Kommentare zur Person des Mitarbeiters. Andernfalls könnten zusätzliche Entschädigungsansprüche entstehen oder – wie hier – sogar demütigende Sanktionsmaßnahmen wie ein gerichtlicher Entschuldigungsbefehl.

Durchgriff auf den Geschäftsführer: Persönliche Haftung bei Vorsatz

Ein Aspekt des Falls ist für Firmeninhaber und Geschäftsführer besonders brisant: Das LAG München hat die Haftungsbeschränkung der GmbH „durchbrochen“ und den Geschäftsführer persönlich in die Pflicht genommen. Hintergrund: Während des Verfahrens meldete die ursprünglich betreibende Gastro-GmbH Insolvenz an. Der findige Kläger erweiterte daraufhin seine Klage und nahm den Geschäftsführer persönlich ins Visier – mit dem Vorwurf, dieser habe vorsätzlich rechtswidrig gehandelt und schulde daher Schadensersatz aus unerlaubter Handlung. Tatsächlich bejahte das LAG eine persönliche Haftung. Es argumentierte, hier sei ein Schutzgesetz verletzt worden. Gemeint sind die einschlägigen Normen des Betriebsverfassungsgesetzes, die die Bildung von Betriebsräten schützen (§§ 78 Satz 1, 119 BetrVG). Diese gelten im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB als Schutzgesetze zugunsten der Arbeitnehmer. Wer sie vorsätzlich verletzt – etwa indem er jemanden gerade wegen einer Betriebsratsinitiative feuert – begeht eine unerlaubte Handlung. In der Konsequenz kann der Täter (hier der Geschäftsführer persönlich) zum Schadensersatz aus Delikt verpflichtet sein, unabhängig von der GmbH. Die im Gesellschaftsrecht übliche Trennung zwischen Firmenvermögen und Privatvermögen des Geschäftsführers greift in solch krassen Ausnahmefällen also nicht mehr.

Das Gericht stellte ausdrücklich fest, dass der Geschäftsführer aufgrund seines bewussten, rechtsmissbräuchlichen Verhaltens persönlich haftet. Die normalerweise bestehende Haftungsprivilegierung durch die GmbH wurde aufgehoben. Im Urteil findet sich damit ein Lehrstück über sogenannte Durchgriffshaftung: Wenn Leitungspersonen in einem Unternehmen bewusst gesetzliche Verbote ignorieren – etwa Kündigungsschutzvorschriften des BetrVG –, können sie im Extremfall selbst finanziell zur Verantwortung gezogen werden. Für die Praxis heißt das: Geschäftsführer sollten arbeitsrechtliche Compliance sehr ernst nehmen. Wer glaubt, sich hinter der „Fassade“ der Kapitalgesellschaft verstecken zu können, irrt im Arbeitsrecht. Bei vorsätzlichen Verstößen (z.B. systematisches Mobbing oder das Vereiteln eines Betriebsrats) droht neben strafrechtlichen Konsequenzen (§ 119 BetrVG stellt Betriebsratsbehinderung unter Strafe) auch zivilrechtlich der Griff ins Privatvermögen. In mittelständischen Familienhotels wie in großen Gastronomieketten gilt gleichermaßen: Der Ton wird rauer, wenn es um Grundrechte der Mitarbeiter geht.

Noch eine Besonderheit am Rande: Während des Prozesses übernahm eine neue Gesellschaft die Gaststätte – ein klassischer Fall des Betriebsübergangs nach § 613a BGB. Auch diese neue Betreiberin wurde vom Kläger gleich in Anspruch genommen, da sie in alle Rechte und Pflichten des Arbeitsverhältnisses eintritt. Das LAG verurteilte folglich auch die Nachfolge-Gesellschaft, z.B. zur Gewährung des Urlaubs. Hier zeigt sich: Insolvenz oder Betreiberwechsel schützen nicht vor Ansprüchen, sofern diese aus der Zeit davor stammen. Arbeitgeber können also nicht durch Umfirmierung oder Verkauf des Betriebs ungelöste Konflikte abschütteln – die Verpflichtungen „wandern mit“.

Urlaubsansprüche: Versäumte Hinweise rächen sich

Schließlich offenbart das Urteil einen weit verbreiteten Compliance-Mangel: den Umgang mit Urlaubsansprüchen. Der gekündigte Kellner hatte im Laufe der Jahre offensichtlich keinen Urlaub genommen – zumindest nicht den vollen ihm zustehenden. Wie sich herausstellte, hatte der Arbeitgeber den Minijobber nie darauf hingewiesen, dass und wie er Urlaub nehmen kann. Vielen kleineren Betrieben ist gar nicht bewusst, dass sie eine Mitwirkungspflicht bei der Urlaubsgewährung haben. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung – insbesondere des EuGH – gilt: Arbeitgeber müssen ihre Mitarbeiter klar und rechtzeitig auffordern, Urlaub zu nehmen, und sie darauf hinweisen, dass nicht genommener Urlaub am Jahresende oder zu einem bestimmten Stichtag verfallen kann. Tun sie das nicht, kann der Urlaubsanspruch unbegrenzt anwachsen. Verfallfristen oder auch die dreijährige Verjährung greifen dann nicht, weil der Arbeitgeber seiner Obliegenheit zur Urlaubsgewährung nicht nachgekommen ist.

Im vorliegenden Fall führte das dazu, dass sich über mehrere Jahre ein erheblicher Urlaubsstau gebildet hatte – konkret 72 Urlaubstage, entsprechend 29 Wochen Urlaub. Das LAG verurteilte die (inzwischen neue) Arbeitgeberin, dem Kläger tatsächlich diese 29 Wochen bezahlten Urlaub zu gewähren. Anders ausgedrückt: Der Student darf über sechs Monate freigestellt werden, ohne dass ihm Gehalt gekürzt wird. Diese Verpflichtung rührt von wegweisenden EuGH-Entscheidungen (v.a. Max-Planck-Gesellschaft, EuGH, Urt. v. 06.11.2018, C-684/16, und Kommune Köln, EuGH, Urt. v. 22.09.2022, C-120/21) her, welche das LAG angewandt hat. Für Arbeitgeber – insbesondere in der stressigen Gastronomie, wo Urlaubstage von Aushilfen gerne mal „vergessen“ werden – ist das eine deutliche Mahnung: Urlaubsmanagement gehört zur Arbeitgeberpflicht. Jeder Betrieb sollte Buch führen, welche Urlaubstage Mitarbeitern zustehen, und aktiv dafür sorgen, dass diese auch genommen werden. Unterbleibt der Hinweis auf Urlaubsverfall, können Arbeitnehmer noch Jahre später alte Urlaubsansprüche geltend machen, wie dieses Urteil eindrucksvoll zeigt.

Praxisbeispiel: In einer kleinen Pension hat die Geschäftsführung wenig Überblick über die Minijobber in der Küche. Die Aushilfe Anna hat über drei Jahre nie Urlaub gefordert und immer ausgezahlt bekommen, da „sie es nicht nötig hatte“. Als Anna das Arbeitsverhältnis beendet, verlangt sie Nachgewährung bzw. Abgeltung all ihrer nicht genommenen Urlaubstage aus drei Jahren – zurecht. Weil der Arbeitgeber nie auf den Urlaubsanspruch hingewiesen hat, kann Anna die Ansprüche noch geltend machen. Eine böse Überraschung für den Betrieb, die durch rechtzeitige Information und Urlaubsplanung vermeidbar gewesen wäre.

Lehren für Arbeitgeber in Hotellerie und Gastronomie

Dieser Fall ist ein Weckruf für die gesamte Branche. Das Urteil des LAG München zeigt in seltener Deutlichkeit, wie teuer und umfassend die Konsequenzen bei arbeitsrechtlichen Verstößen sein können. Insbesondere kleinere Restaurants, Bars und Hotels – wo arbeitsrechtliche Compliance gelegentlich stiefmütterlich behandelt wird – sollten aus den folgenden Punkten ihre Schlüsse ziehen:

Mitbestimmung respektieren: Versuche, eine Betriebsratsgründung zu vereiteln, sind strikt zu unterlassen. Jede Benachteiligung eines „Betriebsrats-Initiators“ – sei es durch Versetzung, Nicht-Einteilung oder Kündigung – verletzt das BetrVG und kann hohe Schadensersatzansprüche auslösen. Arbeitgeber tun gut daran, Betriebsratswahlen eher aktiv zu unterstützen oder zumindest neutral zu begleiten, anstatt illegal dagegen vorzugehen. Im Zweifel sollte man frühzeitig juristischen Rat suchen, wenn ein Betriebsrat im Anmarsch ist, anstatt vorschnell zu Sanktionen zu greifen.

Arbeitszeit und Vergütung sauber dokumentieren: Überstunden und tatsächliche Arbeitszeiten müssen akkurat erfasst werden. Gerade wenn Minijobber regelmäßig mehr arbeiten als vertraglich vorgesehen, sollte der Vertrag angepasst oder ein Zeiterfassungssystem genutzt werden. „Schattenarbeit“ mag kurzfristig praktisch erscheinen, fällt dem Arbeitgeber aber spätestens vor Gericht auf die Füße. Zudem verlangen Gesetze und ggf. Tarifverträge im Gastgewerbe die Aufzeichnung der Arbeitszeit – Stichwort Mindestlohngesetz. Ebenso sind Trinkgeldregelungen transparent zu handhaben; Trinkgelder gehören grundsätzlich den Beschäftigten. Illegale Lohnabzüge (z.B. pauschale Bruchgeldabzüge) sind zu vermeiden, da sie nicht nur rückerstattet werden müssen, sondern auch Bußgelder nach sich ziehen können.

Keine Diskriminierung – weder offen noch verdeckt: Altersstruktur, familiäre Situation, Geschlecht oder ethnische Herkunft – all das darf bei personellen Entscheidungen keine Rolle spielen. Und falls doch relevant (etwa im Kontext von Schichtfähigkeit oder ähnlichem), sind Formulierungen mit größter Sorgfalt zu wählen. Das Beispiel der altersbezogenen Aussage im Kündigungsschutzprozess zeigt, wie schnell ein Arbeitgeber sich dem Vorwurf der Diskriminierung aussetzt. Die Quittung kann in AGG-Entschädigungen bestehen – oder sogar, wie hier, in einem öffentlich demütigenden Urteil, das eine Entschuldigung verlangt. Personalverantwortliche sollten daher in heiklen Situationen stets Hintergründe sachlich und auf das betrieblich Notwendige beschränkt darstellen.

Haftungsrisiken kennen: Geschäftsführern muss klar sein, dass vorsätzliche Gesetzesverstöße im Arbeitsrecht persönliche Konsequenzen haben können. Die übliche Trennung zwischen Unternehmen und Privatvermögen bietet keinen Schutz, wenn man wissentlich Mitarbeiterrechte mit Füßen tritt. Im Gastgewerbe, wo Inhaber häufig direkt in den Betriebsablauf involviert sind, ist die Gefahr groß, in der Hitze des Gefechts eine Kurzschlussreaktion (wie eine ungerechtfertigte Kündigung) zu zeigen. Das Urteil mahnt: Ruhe bewahren und rechtmäßig handeln, sonst haftet man am Ende mit dem eigenen Portemonnaie.

Urlaubsansprüche managen: Kein Mitarbeiter, ob Vollzeitkraft oder Aushilfe, darf beim Thema Urlaub „durchrutschen“. Arbeitgeber haben eine Mitwirkungspflicht, was bedeutet: Sie müssen zumindest einmal im Jahr aktiv über Resturlaub informieren und darauf hinweisen, dass Urlaub sonst verfällt. Im Zweifel sollte der Hinweis dokumentiert (z.B. schriftlich per E-Mail) erfolgen. Gerade in saisonalen Betrieben der Hotellerie und Gastronomie mit wechselnden Aushilfen ist dies eine organisatorische Herausforderung – aber unverzichtbar, um nicht Jahre später mit massiven Urlaubsansprüchen konfrontiert zu werden.

Tarifverträge und branchenübliche Regelungen beachten: Falls ein Betrieb tarifgebunden ist (etwa durch Mitgliedschaft im DEHOGA-Arbeitgeberverband), gelten die entsprechenden Tarifverträge. Diese enthalten oft detaillierte Bestimmungen zu Zuschlägen, Arbeitszeitkonten, Urlaubsregelungen oder auch zur Bereitstellung von Arbeitskleidung. Sie setzen Mindeststandards, die einzuhalten sind. Tarifliche Öffnungsklauseln dürfen jedoch nicht dazu missbraucht werden, Schutzgesetze zu unterlaufen. Insgesamt sollten Arbeitgeber im Gastgewerbe ein solides Grundwissen der wichtigsten arbeitsrechtlichen Vorschriften haben – oder im Zweifel einen Fachanwalt konsultieren –, um Fehler wie in diesem Fall zu vermeiden.

Fairness und Compliance zahlen sich aus. Wer Mitarbeiterrechte achtet, transparente Arbeitsbedingungen schafft und rechtzeitig auf berechtigte Anliegen eingeht, wird kaum in eine derart eskalierende Auseinandersetzung geraten. Das LAG-Urteil aus München führt plastisch vor Augen, welche neuen Maßstäbe im Kündigungsschutz gesetzt werden: Arbeitnehmer können nicht nur Lohn und Gehalt, sondern auch entgangene Trinkgelder, Sachleistungen und sogar ideelle Ansprüche (wie eine Entschuldigung) durchsetzen. Für Arbeitgeber in Hotellerie und Gastronomie ist dies Anlass, die eigenen Praktiken zu überdenken – sei es bei der Kündigung von Mitarbeitern in der Probezeit, beim Umgang mit befristeten Verträgen oder im täglichen Miteinander. Kurzfristiges Aussitzen oder Ignorieren von Arbeitnehmerrechten mag verlockend sein, doch es kann langfristig enorm teuer werden. Besser fährt, wer von vornherein auf Partnerschaft und Rechtssicherheit setzt.

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