„Das BAG hat klargesellt, dass die Beweislast für Überstunden nach wie vor beim Arbeitnehmer liegt und auch das Urteil des EuGH daran nichts ändert“, sagt Rechtsanwalt Marcel Seifert, BRÜLLMANN Rechtsanwälte.
Nach dem Wegfall der meisten Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie darf in der Gastronomie auf bessere Zeiten mit steigenden Umsätzen gehofft werden. Mit den voll besetzten Tischen dürfte auch das Thema Überstunden wieder stärker in den Blickpunkt rücken. Arbeitnehmer müssen dabei beachten, dass ein Anspruch auf Vergütung der Überstunden nur dann besteht, wenn sie vom Arbeitgeber angeordnet oder nachträglich gebilligt wurden. Zudem muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen können, dass er die Überstunden geleistet hat.
Nach dem viel beachteten „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs kam die Meinung auf, dass sich die Darlegungs- und Beweislast zu Gunsten des Arbeitnehmers verschoben hat und der Arbeitgeber stärker in der Pflicht steht. Dem ist nach der aktuellen Rechtsprechung des BAG jedoch nicht so, erklärt Rechtsanwalt Seifert.
Was hat der EuGH mit dem sog. Stechuhr-Urteil entschieden?
Der EuGH hat mit Urteil vom 14. Mai 2019 entschieden, dass die Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System einzurichten, mit dem die Arbeitszeit des Arbeitnehmers gemessen werden kann (Az.: C-55/18). Ohne ein solches System könne weder die tägliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers noch die Zahl der geleisteten Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden, so der EuGH.
Die korrekte Ermittlung der täglichen Arbeitszeit sei jedoch wichtig, um festzustellen, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit einschließlich Überstunden nicht überschritten wird und Ruhezeiten eingehalten werden, stellten die Luxemburger Richter weiter fest. Dies diene dem Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Arbeitgeber seien daher verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers erfasst werden kann.
Worum ging es vor dem Bundesarbeitsgericht?
Das BAG verhandelte die Klage eines Lieferfahrers auf Vergütung seiner Überstunden. Bei ihm wurden Beginn und Ende seiner Arbeitszeit durch ein Zeiterfassungssystem ermittelt. Detaillierter arbeitete das System jedoch nicht, Pausen wurden nicht festgehalten. Als das Arbeitsverhältnis beendet wurde, verlangte der Fahrer die Vergütung seiner Überstunden. Laut des Zeitaufzeichnungssystems hatten sich insgesamt 348 Überstunden angesammelt. Die Überstunden seien besonders deshalb angefallen, weil er auf Pausen verzichtet habe, führte der Fahrer aus. Anders hätte er die täglichen Auslieferungen nicht schaffen können.
Was hat das BAG entschieden?
Die Klage des Fahrers hatte in erster Instanz vor dem Amtsgericht Emden Erfolg. Das Gericht verwies auf die Rechtsprechung des EuGH. Der Arbeitgeber habe kein exaktes Zeiterfassungssystem zur Verfügung gestellt. Daher reiche der pauschale Vortrag des Fahrers zu den Überstunden aus. Der Arbeitgeber müsse darlegen, dass es die Überstunden nicht gegeben hat.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachen kippte das Urteil jedoch und das BAG hat diese Entscheidung bestätigt. Auch wenn der Arbeitgeber kein System zur exakten Zeiterfassung zur Verfügung gestellt habe, bleibe es dabei, dass die Darlegungs- und Beweislast für Überstunden beim Arbeitnehmer liege, so das BAG. Demnach hätte der Fahrer darlegen müssen, dass er die Pausen durchgearbeitet hat und dass dies nötig war, um die Lieferungen auszuführen.
Das „Stechuhr-Urteil“ des EuGH habe an dieser Beweislast nichts geändert. Dabei sei es darum gegangen, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu regeln. Die Entscheidung spiele jedoch für die Vergütung der Arbeitnehmer grundsätzlich keine Rolle und habe keinen Einfluss auf die Verteilung der Darstellungs- und Beweislast hinsichtlich der Vergütung von Überstunden, entschieden die Erfurter Richter.
Was bedeutet das Urteil des BAG für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Gastronomie?
„Nach dieser Entscheidung des BAG sollten Arbeitnehmer ihre Überstunden detailliert erfassen und belegen können“, so Rechtsanwalt Seifert. Grundsätzlich sollte die Leistung von Überstunden immer mit dem Arbeitgeber abgesprochen und genehmigt werden, damit ein Anspruch auf Vergütung besteht“, so Rechtsanwalt Seifert.
Arbeitgeber müssen nach der aktuellen Rechtsprechung des BAG zwar nicht nachweisen, dass die Überstunden nicht geleistet wurden. Rechtsanwalt Seifert: „Das entbindet sie allerdings nicht von der Verpflichtung ein System zur korrekten Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzuführen.“
Über Marcel Seifert
Rechtsanwalt Marcel Seifert ist geschäftsführender Partner der Kanzlei BRÜLLMANN Rechtsanwälte in Stuttgart. Neben dem Bank- und Kapitalmarktrecht ist das Arbeitsrecht ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit. Die Kanzlei BRÜLLMANN Rechtsanwälte bietet professionelle Unterstützung bei der Lösung von Konflikten am Arbeitsplatz. Wir vertreten Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Auseinandersetzungen um Arbeitsverträge, Kündigungen, Ansprüchen und sonstigen arbeitsrechtlich relevanten Angelegenheiten in außergerichtlichen Verfahren oder vor dem Arbeitsgericht.