Was das LG Mannheim entschieden hat und was nicht
Wichtig zu wissen ist zunächst, dass aus der Entscheidung des LG Mannheim – leider – nicht alle Versicherungsnehmer Honig saugen können. Das LG Mannheim hat keinesfalls für alle Versicherungsverträge im Bereich der Betriebsschließungsversicherung entschieden, dass den Versicherungsnehmern stets Leistungsansprüche aus dem Vertrag zustehen. Das LG Mannheim (Beschluss vom 29.04.2020, Az. 11 O 66/20) hat vielmehr entschieden, dass Versicherungsnehmern dann grundsätzlich ein Anspruch aus der Betriebsschließungsversicherung zusteht, wenn in den Versicherungsbedingungen in einer bestimmten Weise auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) Bezug genommen wird.
Welche Art von Klausel lag der Entscheidung des LG Mannheim konkret zugrunde?
Der Entscheidung des LG Mannheim lagen Versicherungsbedingungen zugrunde, in denen in der entscheidenden Klausel, in der definiert wird, was meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen überhaupt sind, vollkommen pauschal auf die §§ 6 und 7 des IfSG verwiesen wurde. Dem Beschluss – um ein Urteil des Gerichts handelte es sich hier nicht, sondern um eine im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangene Entscheidung – ist deutlich zu entnehmen, dass das Gericht für seine Ansicht gerade auf diesen Umstand maßgeblich abhob. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die dem Vertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen eine dynamische Verweisung auf die §§ 6 und 7 IfSG enthalten, sodass für den Inhalt des Versicherungsschutzes auf den jeweils aktuellen Stand des IfSG abzustellen war. Über zwei im IfSG enthaltene Generalklauseln bestünde demnach auch Versicherungsschutz in Bezug auf COVID-19.
Dieses Ergebnis begründete das Gericht damit, dass die Bedingungen keine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf eine enumerative Aufzählung von Erregern bzw. Krankheiten enthielten. Eine Vielzahl von Versicherungsbedingungen enthalten aber gerade einen solchen Katalog. Beispielsweise enthält ein mir vorliegendes
Bedingungswerk der R+V die folgende Formulierung:
„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im IfSG in der Fassung vom 20.07.2000 in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger. Die Aufstellung ist vollständig. Sind Krankheiten und Krankheitserreger, die im Infektionsschutzgesetz genannt sind, in der nachfolgenden Aufstellung nicht enthalten, besteht hierfür im Rahmen dieses Vertrages kein Versicherungsschutz“.
Liegen einem Vertrag solche Versicherungsbedingungen zu Grunde, so wird man den Versicherungsschutz grundsätzlich ganz klar verneinen müssen.
Versicherungsschutz trotz Beschränkung der Bedingungen auf einen Katalog von Erregern und Krankheiten?
Aber es gibt Ausnahmen von diesem Grundsatz. Auch wenn die Versicherungsbedingungen – in der dargestellten Weise oder auch in anderer Form – eine Beschränkung auf einen bestimmten Katalog von Erregern und Krankheiten enthalten, kann trotzdem Versicherungsschutz gegeben sein. Hierzu müssen weitere Umstände hinzukommen, mit denen sich argumentieren lässt, beispielsweise Zusagen des Versicherers auf seiner Internetseite oder in Mitteilungen an seine Versicherungsnehmer oder Vermittler. Darüber hinaus kommt Versicherungsschutz in Betracht, wenn die Versicherungsbedingungen unklar verfasst sind, denn Unklarheiten gehen nach ständiger Rechtsprechung des BGH zu Lasten des Verwenders, also des Versicherers (weiterführende Informationen hierzu erhalten Sie hier).
Zwischenfazit
Enthält der Versicherungsvertrag lediglich eine pauschale Verweisung auf das IfSG oder lässt sich mit einer tragfähigen Argumentation begründen, dass der Versicherungsschutz durch eine in den Versicherungsbedingungen enthaltene Aufzählung nicht eingeschränkt wird, dann ist die erste und wichtigste Hürde in Richtung Versicherungsschutz genommen.
Was hat das LG Mannheim sonst noch entschieden?
Die Entscheidung des LG Mannheim beschränkt sich nicht auf das Gesagte, ihr sind vielmehr noch weitere wichtige Aussagen zugunsten von Versicherungsnehmern zu entnehmen:
1. Der Versicherungsschutz setzt nicht voraus, dass der Betrieb des Versicherungsnehmers deshalb geschlossen wurde, weil der Erreger in seinem Betrieb festgestellt wurde.
2. Es bedarf keines konkret an den Versicherungsnehmer gerichteten Verwaltungsakts, sondern Allgemeinverfügungen, wie sie im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ausgesprochen wurden, reichen aus.
3. Darüber hinaus muss der konkrete Betrieb nicht vollständig geschlossen worden sein, damit Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in Betracht kommen. Es reicht aus, wenn der Betrieb nur noch derart eingeschränkt fortgeführt werden konnte, dass dies einer faktischen Schließung gleichkam.
Schlussbemerkung und Ausblick
Die Entscheidung des LG Mannheim ist zwar kein Urteil. Ich gehe jedoch davon aus, dass die Entscheidung in der Hauptsache nicht anders ausfallen wird. Darüber hinaus halte ich die Argumente des Gerichts für so stichhaltig, dass ich annehme, dass sich weitere Gerichte dieser Ansicht anschließen werden. Versicherungsnehmern ist jedenfalls zu empfehlen, ihren Versicherungsvertrag – sowie gegebenenfalls darüber hinausgehende Umstände oder Dokumente – fachkundig überprüfen zu lassen, um auf einer tragfähigen Grundlage darüber zu entscheiden, ob der Clinch mit dem Versicherer gesucht oder ein gegebenenfalls unterbreitetes Kulanzangebot besser doch angenommen werden sollte.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Burkhard Tamm ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Medizinrecht mit Sitz in Würzburg und bundesweit tätig.
tamm-law.de, E-Mail: drtamm@tamm-law.de